Kreuzzug gegen den Gral
empfangen. Sie müssen zurückweichen ...
»Der Herr ist mit uns, Soldaten Christi!« ruft der Abt von Citeaux. »Seht nun das neue Wunder: Gott, der Herr der Elemente, hat ihnen befohlen uns beizustehen. Wir haben Wasser, denn die Aude ist unser, aber dort oben in dem Ketzernest versiegen die Brunnen, denn der Herr hat den Wolken verboten, die Sünder zu tränken!«
In der belagerten Stadt spielen sich entsetzliche Szenen ab. Anhäufung von Menschen und Tieren, Gestank verendeten Viehs, Wolken von Stechmücken und der grauenhafte Durst verursachen eine Epidemie. Heulend und wimmernd rennen die Frauen und die Kinder durch die Straßen.
Eines Tages reitet ein Kreuzritter als Parlamentär vor das Osttor der Stadt. Er wolle den Vicomte sprechen. Er käme im Auftrag des Königs von Frankreich und bitte den Vicomte zu einer Verhandlung ins Kreuzfahrerlager. Freies Geleit sei ihm zugesichert.
»Schwören Sie!« sagt Ramon-Roger.
»Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen .«
Nach kurzer Besprechung mit seinen Baronen und Konsuln entschließt sich Ramon Roger, ins Kreuzlager hinunterzugehen. In Begleitung von hundert Rittern reitet er vor das Zelt des Abtes von Citeaux. Die französischen Barone betrachten mit bewundernder Neugier den berühmtesten und mutigsten Ritter Romaniens. Der Vicomte tritt vor den Zisterzienserabt:
»Eure Eminenz wünschen ...?«
»Verhaftet ihn und alle seine Ritter!« ruft Erzabt Arnold.
So werden der Vicomte von Carcassonne und seine hundert Begleiter durch Verrat unschädlich gemacht. Man läßt mit Absicht einige Ritter entschlüpfen, damit sie ihrer Stadt des Vicomtes Gefangennahme meldeten. Als Carcassonne den Verlust seines Führers erfährt, weiß es, daß sein Schicksal besiegelt ist, daß es Beziers' entsetzlichen Tod erleiden wird. Die Konsuln und Barone halten Rat. Die Nacht kommt ...
Am andern Morgen erwartet der Kreuzzug Carcassonnes Übergabe. Allein die Zugbrücken werden nicht heruntergelassen, die Tore bleiben verschlossen. Keine Wachen auf dem See, keine Vedette auf der maurischen Atalaya. Die Stadt ist still wie eine Nekropole. Die Kreuzfahrer argwöhnen eine Kriegslist. Mißtrauisch nähern sie sich den Mauern. Sie lauschen: kein Geräusch. Das Osttor wird eingerannt ...
Die Stadt ist leer. Sogar die Burg ist verlassen ...
Auf die Nachricht von Carcassonnes Fall eilen Legat, Barone, Priester und Mönche herbei. Ihre erste Sorge ist, den Vicomte in das tiefste Verlies seiner eigenen Burg zu werfen; ihre zweite, sich im Schlosse häuslich einzurichten; ihre dritte, die Stadt den plündernden Soldaten zu entreißen.
Man steht vor einem Rätsel. Keine Menschenseele in der Stadt! Gespenstisch hallen die Tritte der Eindringlinge in den leeren Gassen ... Von einem Balkon des gräflichen Schlosses hält der »Führer der christlichen Streitmacht«, Erzabt Arnold zu Citeaux folgende Ansprache: »Barone, Soldaten, hört mich an! Ihr seht: nichts widersteht uns. Der Gott des Donners tut Wunder. In seinem Namen verbiete ich euch allen zu plündern, sonst exkommuniziere und verfluche ich euch. Wir wollen alle Beute einem würdigen Baron übergeben, der das eroberte Land in der Gnade Gottes erhalten wird .«
Die Armee ruft Beifall.
Die Führer fragen sich verdutzt, wie Carcassonnes Bürger, tausende von Menschen, verschwinden konnten als habe sie der Erdboden verschluckt. Und das hatte er. In der letzten Nacht sind die Belagerten durch einen unterirdischen Gang in das »Schwarze Gebirge«, die Wälder der Cor-bieren und die Schluchten des Tabor entflohen. In Kellern findet man noch ein halbes Tausend Greise, Frauen und Kinder, denen die Flucht zu beschwerlich gewesen ist. Hundert schwören die Ketzerei ab. Sie werden bis auf die Haut ausgezogen und »nur in ihre Sünden gekleidet« laufen gelassen. Aber vierhundert halten an ihrem Glauben fest. Man hängt sie oder verbrennt sie lebendigen Leibes.
In Saint-Nazaire, dem Dom, danken die Kreuzfahrer dem Himmel für seine gnädige Hilfe. Ihr Tedeum wird von dem Wimmern der Opfer begleitet, ihr Weihrauch vermischt sich mit dem Qualm der Scheiterhaufen. Arnold von Citeaux liest die »Messe vom Heiligen Geist« und predigt über die Geburt Christi.
Messa lor a cantada de Sante Esperit,
E si lor preziquet cum Jhesu Crist nasquit...
Wilhelm von Tudela
So geschehen am fünfzehnten August im Jahre des Heils eintausendzweihundertneun, am Tage der Himmelfahrt Maria, Schutzherrin des Kreuzzuges ...
Carcassonne ist gefallen. Sieben Jahre
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