Kreuzzug gegen den Gral
Feuertod entronnenen Catharern ein Mount Salbatge und ein Mount
Salbat zugleich gewesen. Seit nahezu vierzig Jahren hatte der kühne vom »Tempel der höchsten Minne« gekrönte Pyrenäenfelsen dem Wüten der französischen Eindringlinge und katholischen Pilger getrotzt. Als im Jahre 1209 Simon von Montforts Bruder Gui Romaniens heilige Burg vernichten wollte, kehrte er angesichts des himmelstürmenden Berges um. Dann hatte Raimon der Siebente, Graf von Toulouse, der in Notre-Dame zu Paris hatte schwören müssen, dieses Ketzernest auszuheben, die Belagerung der Burg in Angriff genommen. Aber ihm lag gar nicht daran, das letzte Asyl der Freiheit seiner romanischen Heimat den Fremdlingen in die Hände zu spielen. Er erlaubte sogar seinen Heerführern, in die Burg hinaufzugehen, um den Predigten der Gutmänner beizuwohnen.
Unbesudelt und frei ragte immer noch Romaniens heilige Burg 137 * über die provengalische Ebene, wo die siegreichen Kreuzfahrer auf schwelenden Städten ihr veni creator spiritus sangen, und wo bereits die Bauern auf dem flachen Land statt der langue d'oc, die langue d'oil, die Sprache der neuen Machthaber zu sprechen begannen. Nur auf Montse-gur und der von ihm geschützten Terre Salbatge des Tabor lebten noch die letzten Träger der Kultur, die die Hellenen, Iberer und Kelten zu Ahnen hatte, die dem christlichen Abendland ein Dorn im Auge geworden und von ihm zum Tode verurteilt worden war.
Mythus und Sage haben von je diesen herrlichen Burgfelsen umsponnen, sind sie doch seit Urzeiten im Tabor zu Hause. Einer romanischen Tradition zufolge ist Montsegur von den »Söhnen Geryons« erbaut worden, dessen Herden Herakles raubte, ehe er in den Garten der He-speriden und in den Hades gelangte. Im Garten der Hesperiden entwendete der Götterliebling die goldenen Sternenäpfel, die über der Schale der Wiedergeburt in den Blättern des Lebensbaumes leuchteten. Im Hades bändigte und raubte der sonnengleiche Alkide den Höllenwächter Kerberos, denn Tod und Hölle hatten für diesen »Urführer« keine Schrecken. Ob wohl Herakles den Geryonsöhnen, in denen die Romanen ihre iberischen Väter sahen, die erste frohe Botschaft über das Meer gebracht hat, daß der Tod keine Schrecken habe, und daß die Hölle nur ein Alpdruck sei, so schwer wie das Leben?
Wenn die geächteten Ritter und Reinen von Montsegur zum Meer hinüberschauten, das sie im Osten hinter dem Dunst der Ebene ahnen konnten, dann mochten sie sich wohl der Höllenfahrt des Herakles entsinnen, denn dort lag Kap Cerbère am »bebrykischen Meer«. Wenn die Ritter, Damen, Troubadoure, Catharinnen und Catharer, unter denen mancher der Helden und manche der Damen weilte, die wir in der graziösen romanischen Minnewelt angetroffen haben, von Montségur ostwärts zum Meer schauten, wußten sie dort Port-Vendres, den Hafen der Venus, in dem die Argo anlegte, das Schiff der Argonauten, deren Helden einer Herakles war.
Doch Venus ist nicht Artemis, Sexus ist nicht Eros. Nicht Venus thronte unsichtbar über Romanien: Artemis, die keusche Minne, die die Schlechten gut und die Guten besser macht. Montségur war kein sündiger Berg, wo »Venus in dem Grale« war. Es war Romaniens Berg des Parakleten, der höchsten Minne. Die das Consolamentum empfingen, hatten den ersten Schritt getan zur Reise ins Lichtland der Seelen. Sie waren für die irdische Welt gestorben, in der sie die Hölle sahen, und die für sie eine Hölle war. Allenthalben brannten ja die Scheiterhaufen. Den »Kuß Gottes« erwarteten die Ketzer von Montségur, das als letztes Ketzerheiligtum die Sonne sehen durfte. Montségur und seine Reinen sollten von Gott geküßt werden.
Munsalväsch', du Jammers Ziel,
Weh', daß dich niemand trösten will!
Wolfram von Eschenbach
Esclarmonde von Foix und Guilhabert von Castres waren tot. Wann sie starben, ist uns nicht berichtet worden. Den Untergang Montségurs haben sie wohl nicht mehr gesehen. Der Hirte, der mir auf der Straße der Cathari die Märe von Montségur, Esclarmonde, Luzifers Heerscharen und dem Gral erzählte, wußte ja auch, daß die »große Esclarmonde«, wie man sie heute in den Taborbergen nennt, nicht auf dem Scheiterhaufenacker verbrannt worden ist. Eine andere Esclarmonde war es: die Tochter des Schloßherrn Ramon von Perelha, eine Belissenatochter. Sie hütete die romanische Mani, als drunten in der Ebene die Heer-scharen Roms, das der Ketzerburg Untergang geschworen hatte, gen Montsegur heranzogen.
Nach dem
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