Kreuzzug
verteilt haben, aber offenbar gibt es hier mehr Möglichkeiten, rein- und rauszukommen, als wir uns alle vorstellen können.«
»Bekannt. Alle denkbaren Ausstiege werden von der Bundeswehr überwacht.«
»Woher wissen Sie das?«, zweifelte Kerstin Dembrowski.
»Dass die Bundeswehr die bewacht? Weil ich den Befehl dazu gegeben habe!« Der Generalinspekteur fasste die Frage fast als Beleidigung auf.
»Nein, woher wissen Sie, dass Sie alle denkbaren Wege blockieren? Sie meinen die Wege, an die
Sie
denken. Aber auch alle, die die Erpresser kennen?«
Der Generalinspekteur machte eine Pause. Die wertete Kerstin Dembrowski als Zugeständnis dafür, dass sie recht hatte.
»Immerhin wissen wir jetzt, woher sie kommen«, sagte der Generalinspekteur schließlich. »Wir kriegen sie früher oder später. Und wir wissen, wohin sie wollen. Nach Innsbruck, wie Ihnen der Mann vorhin sagte.«
»Glauben Sie denen?« Kerstin Dembrowski wunderte sich über die Blauäugigkeit ihres Befehlshabers.
»Wir wissen, dass sie wegwollen. Das reicht uns. Sie werden aus diesem Berg rauskrabbeln, irgendwo. Und dann gehören sie uns. Auf der deutschen und der österreichischen Seite sind in den Tälern so viele Spezialkräfte versammelt, dass die sich fast gegenseitig auf den Füßen stehen. Machen Sie sich keine Sorgen, Kapitän. Übergeben Sie die Karte, und holen Sie dann die Geiseln sicher raus. Ende.«
Kerstin Dembrowski wollte nur zu gern glauben, dass ihr oberster Boss mit seinen Vorhersagen richtiglag. Sie spürte jedoch, dass die Erpresser ganz andere Pläne hatten.
Nur kurz nach dem Gespräch mit dem Generalinspekteur erhielt sie aus dem Eibsee-Hotel vom dortigen Verbindungsoffizier Major Mainhardt die Nachricht, dass die Karte eingetroffen sei. Der Transport per Raupenfahrzeug dauere zwanzig Minuten, per Helikopter zwei. Die Geiselnehmer sollten entscheiden, welches Transportmittel sie zulassen wollten.
»The Unex card is right down at the hotel«, sagte sie zu demjenigen der Erpresser, der ihr als der Anführer erschien.
»Bring it down there.« Der Mann deutete mit nach unten gerichteten Zeigefingern in Richtung der Kaverne, die zum offenen Tunnelfenster führte.
»By snowcat or by helicopter?«
»By foot!«
»That will take a pretty long time. More than an hour, I guess«, wandte Kerstin Dembrowski ein. Sie wollte die Situation im Sinne der Geiseln so schnell wie möglich beenden. Jede Minute, die die Insassen des Zugs mit einer Maschinenpistole bedroht wurden, verlängerte das Risiko für sie unnötig.
»Half an hour. I know exactly how long it takes«, bestimmte der Erpresser.
Kerstin Dembrowski wandte sich von dem Mann ab. »Sie sollen jemanden zu Fuß schicken. Sie geben uns eine halbe Stunde«, sagte sie in das Mikro.
»Ich hab’s gehört«, entgegnete Major Mainhardt. »Wir brauchen einen, der mit Tourenski durch den Wald zum Fuß der Westwand rennt. So, wie ich das sehe, bin ich der Einzige hier, der das kann. Ein bissl Bewegung tut mir eh gut. Um fuchzehn fuchzehn Alpha-Zeit stehe ich im Geröllfeld unter der Wand. Horrido!«
Mit dem traditionellen Gruß der Gebirgsjäger konnte die Marineangehörige Dembrowski nichts anfangen. Sie sagte nur ein gänzlich unmilitärisches »Tschüss« ins Mikro am Kragen ihres Overalls.
Kapitel hundertzwanzig
Deutschland, 14 Uhr 45
D ie Medienmaschinerie lief auf vollen Touren. Auf allen TV -Kanälen wurde das Programm für Live-Schaltungen nach Grainau am Fuß der Zugspitze unterbrochen. Irgendwie war durchgesickert, dass um fünfzehn Uhr ein Großteil der Geiseln freikommen sollte.
Um die Flut der Berichterstatter zu kanalisieren, hatte man in der Nacht eine Gaststätte, die zweihundert Meter Luftlinie vom Eibsee-Hotel entfernt auf einer Anhöhe lag, die Eibsee-Alm , zum Medienzentrum erklärt. Der Platz war ideal, denn das Gebäude war weit genug vom Hotel entfernt. Nachdem die letzten Luxusgäste in andere Häuser umgesiedelt worden waren, war es zur Sperrzone erklärt worden.
Die Alm stand direkt unter der Seilbahn, sodass man von der Terrasse einen direkten Blick bis zur Gipfelstation hatte. Drehte man sich um neunzig Grad nach rechts, sah man Deutschlands schönsten See mit dem Hotel am Ufer, von dem aus über das Wohl und Wehe von fünftausend Menschen verhandelt wurde. Eine bessere
Location
hätte sich kein Drehbuchautor ausdenken können.
Hier wurden die Reporter, Fotografen, Kamera- und Tonleute stationiert. Die Teams mussten sich beim Bayerischen
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