Kreuzzug
in den Tunnel geholt worden waren, und unterhielten sich leise darüber. Die Bewacher ließen offenbar nicht mehr die Sorgfalt walten, mit der sie in den vergangenen vierundzwanzig Stunden jegliche Unterhaltung unter den Insassen des Zuges unterbunden hatten.
Schließlich kam einer der vermummten Männer auf Kerstin Dembrowski zu und wies sie mit einem Wink mit dem Maschinengewehr an, mit ihm zum Tunnelfenster zu gehen. Beide verschwanden sie in der Kaverne, die zum Abgrund über dem Eibsee führte.
Thien dachte nach, ob es noch Sinn machte, loszuschlagen. Leider funktionierte die stille Post mit Craig hier nicht, denn die Vorlage, das Schild des Mazda-Händlers, war weg. Daher hob er die Augenbrauen fragend an und richtete den Blick mehrmals auf den Mann im MG -Nest vor dem Felssturz. Doch Craig schüttelte kaum merklich den Kopf. Thien war enttäuscht. Er hatte sich schon ein bisschen darauf gefreut, diesen Tunnel als Held zu verlassen. Sogar an den Gedanken, dafür Leute töten zu müssen, hatte er sich gewöhnt.
Die Gelegenheit war günstig. Sie müssten nur den Mann, der sie bewachte, ausschalten, seine Maschinenpistole in die Finger bekommen und damit den Kerl in dem MG -Nest abknallen. Sie hätten dann zwei Waffen in ihrer Gewalt und könnten die anderen Terroristen Mann für Mann erledigen, wenn sich einer aus der Kaverne in den Tunnel traute. Es blieb das Risiko, dass die Männer im Zug und der MG -Schütze hinter dem Zug ein Gemetzel unter den Passagieren anrichteten. Das, so vermutete Thien, wollte Craig so kurz vor Ende der Geschichte vermeiden.
Die Frau im roten Overall kam aus dem Seitengang zurück, gefolgt von ihrem Bewacher. »Folgender Plan unserer Gastgeber: Ich werde jetzt hier abgeseilt und bringe den Geiselnehmern einen Gegenstand, der ihnen im Austausch für die Geiseln hier im Zug versprochen wurde. Danach werden wir damit beschäftigt sein, die Gefangenen durch das Tunnelfenster nach unten zu schaffen. Genug Seile und Sitzgurte sind vorhanden. Aber es wird nicht leicht werden. Es gibt sicher ein paar Fahrgäste im Zug, die noch nie eine fast senkrechte Wand von fünfhundert Metern Tiefe hinuntergelassen wurden.«
»Mich zum Beispiel«, warf Thien ein, »zumindest nicht am Seil. Mit Ski wäre das etwas anderes.«
»Um Sie mache ich mir dabei am wenigsten Sorgen«, sagte Kerstin Dembrowski.
»Und die Geiselnehmer?«, kam Thien auf das zurück, was ihn wirklich interessierte.
»Ich schätze, die machen sich aus dem Staub, während wir stundenlang mit dem Abseilen beschäftigt sind. Wohin, haben sie mir allerdings nicht verraten. Es gibt wohl einige unbekannte Wege hier drin. Über einen solchen bin ich ja auch hier hereingekommen.«
»Und wenn wir mit dem Abseilen fertig sind, sind wir dann auch frei?«, hakte Thien nach.
»Ich gehe davon aus. Es wird mindestens sechzehn Stunden dauern, zweihundert Leute von hier nach unten zu bekommen. Rechnen Sie selbst: pro Person fünf Minuten macht eintausend Minuten.«
»Toller Job – na, servus.«
»Warten wir’s ab«, meinte Kerstin Dembrowski. Sie war insgeheim davon überzeugt, dass die Erpresser vorher überwältigt würden und die Geiseln dann auf anderem Wege in die Freiheit gelangen konnten. »Ist jedenfalls besser, als noch einmal vierundzwanzig Stunden in diesem Zug zu sitzen, oder?«
»Solange Sie dabei sind, fühle ich mich gut, was immer auch passiert«, flirtete Thien seine neue Lieblingsheldin an.
Die senkte den Blick nicht einmal, sondern drehte sich nur um und marschierte in Richtung Tunnelfenster davon.
Kapitel hundertsiebzehn
Eibsee-Hotel , 14 Uhr 30
B KA-Mann Schnur reagierte gereizt auf den Vorschlag von Major Mainhardt. Nun schlug schon die Bundeswehr der Polizei vor, wie man die Datenbanken der Rasterfahndung auszuwerten hatte. »Aber natürlich haben wir alle Arbeitskräfte der Zugspitzbahn durchleuchtet. Nichts Verdächtiges dabei. Jede Menge Ausländer, aber nichts über die Maßen Islamistisches. Ein paar Türken sind darunter, das ist alles, und die haben wir längst überprüft. Alle gut integriert, Gastarbeiter, die mit ihren Familien im Umkreis wohnen. Machen Sie sich keine Sorgen.«
»Ach, keine Sorgen sollen wir uns machen? Ich finde, das, was dort drüben in und auf dem Berg vor sich geht, sollte uns schon ein paar kleine Sorgen bereiten. Haben Sie auch die Saisonkräfte gecheckt?«
»Mein sehr verehrter Herr Major Mainhardt, praktisch das gesamte Bundeskriminalamt überprüft seit gestern Mittag
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