Kreuzzug
Innenministerium akkreditieren lassen. Wenn sie das geschafft hatten, gelangten sie in Begleitung eines Polizisten durch die Absperrungen, die den gesamten Parkplatz der Zugspitzbahn und das Eibsee-Hotel von der Außenwelt trennten. Einmal im Medienzentrum angekommen, wurden den Bildberichterstattern feste Positionen auf der Terrasse zugeteilt, von denen aus sie ihre Reporter mit der Zugspitze im Rücken filmen durften.
Zwei große Ü-Wagen des Bayerischen Rundfunks standen neben der Gaststätte Eibsee-Alm. Die öffentlich-rechtliche Technik musste von allen, auch den internationalen Teams, genutzt werden, um die Fernsehbilder auf den Satelliten zu schicken. Auf diese Weise konnte man im äußersten Notfall alle Übertragungen auf einen Schlag unterbrechen.
Jegliche Besuche von Presseleuten im Eibsee-Hotel waren streng untersagt. Auf dem gesamten Areal um den See durften sie sich nur in Fünfergruppen bewegen, jeweils begleitet von einem Polizisten des Landeskriminalamts, der in Pressearbeit geschult war.
Natürlich hatten sich einige Paparazzi mit langen Teleobjektiven in den Wäldern rund um den See versteckt. Komplett absperren und kontrollieren ließ sich das Gelände nicht. Letztlich aber konnten diese Freischärler des Journalismus nur Bilder aus anderen Blickwinkeln als die offiziell zugelassenen Reporter machen, mehr nicht. Dafür mussten sie in der Kälte in Biwaksäcken auf Bäumen ausharren. In der vergangenen Nacht hatte das Thermometer wieder die Minus-zehn-Grad-Marke durchbrochen, und auch am Tag war es im Schatten des Zugspitzmassivs nicht viel wärmer geworden. Und wie sie sich verpflegten, war das Problem der Paparazzi. In der Eibsee-Alm kochte der eilends an den See gereiste Fernsehkoch Albrecht Schneebock.
Fünfzehn Minuten vor dem erwarteten Showdown richteten sich die Reporter vor ihren Kameras ein. Lippenstift wurde aufgetragen, Lidstriche nachgezogen, Krawatten, die aus den V-Ausschnitten der Kaschmir-Pullover hervorlugten, wurden unter Gänsedaunenparkas zurechtgerückt. Die Kameraleute achteten darauf, dass mit einem Schwenk nach rechts das Hotel am See und nach links der Gipfel des Berges, unter dem der jeweilige Reporter zu stehen hatte, zu sehen waren. Die größte Schwierigkeit dabei war, keinen Kollegen mit aufs Bild zu bekommen. Der Zuschauer eines Senders sollte ja den Eindruck haben, dass der Reporter exklusiv für ihn vor Ort über die größte Geiselnahme der Kriminalgeschichte berichtete.
Zahllose Reibereien zwischen den Lichtbildnern waren das Resultat. Nicht immer blieben die Auseinandersetzungen verbal. Die verfeindeten Kameraleute und Techniker von SAT . 1 und RTL gingen sich gegenseitig an den Kragen. Aber auch sendergruppenintern war man sich nicht grün. Und seitdem die Zeitungsleute nicht nur knipsten und schrieben, sondern auch Filmchen für ihre Webseiten abliefern mussten, machten sie den Profis mit den großen Objektiven das Leben mit ihren Webcams, die sie irgendwo auf billigen Stativen plazierten, noch schwerer.
Die Agenturfotografen waren aber wie immer die Schlimmsten. Sie wurden nur nach tatsächlich erschienenen Fotos bezahlt und nahmen daher keine Rücksicht, ob da ein Kollege vielleicht seit einer halben Stunde die richtige Position für das richtige Bild gesucht und endlich gefunden hatte; sie stellten sich einfach vor jedes Objektiv, ohne Rücksicht auf irgendjemanden. Die besonnenen Festangestellten des Bayerischen Rundfunks mussten mehrfach Handgreiflichkeiten schlichten.
Seit dem Morgen warteten im ganzen Land Hausfrauen und Arbeitslose vor den Flachbildschirmen darauf, dass sich endlich etwas in dieser spannenden Sache tun würde. Die Spots, die seit dem Vormittag über die Online-Systeme in die Werbeblöcke der Privatsender gebucht wurden, trugen dieser Audienz Rechnung. Die Media-Agenturen der großen Konsumgüteranbieter hofften auf einen überdurchschnittlich hohen Frauenanteil, Haushaltsnettoeinkommen unter 1500 Euro, und schalteten, als gäbe es kein Morgen mehr, Werbefilme für Kartoffelchips, Waschmittel und vierlagiges Toilettenpapier. Über Nachrichtensender wie n-tv hofften die Marketingprofis zahlungskräftige Männer zu erreichen, die vor den TV -Geräten in Büroturm-Cafeterias, Hotel- und Flughafenlobbys gerade vom harten Businessleben retirierten, das sie am ersten Arbeitstag nach den Weihnachtsferien wieder fest im Griff hatte. Die Badischen Motorenwerke unterbrachen das Programm mit dynamischen Bildern von durch hohe Schneewälle
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