Kreuzzug
herausfinden, was. Eins war sicher: In Thiens Kreisen hätte man Kerstin Dembrowski das höchstmögliche Prädikat »Coole Sau des Monats« verliehen.
Gerade erhielt sie offenbar einen Funkspruch. Sie deutete auf ihr Ohr, dann sagte sie etwas zu dem Terroristenanführer. Etwas Entscheidendes war geschehen. Der Geiselnehmer und Kerstin Dembrowski gingen in die Kaverne und an Thien und seinem Bewacher vorbei zum Tunnelfenster. Dort prüfte sie Thiens Haken, dann klinkte sie den Karabiner am Ende des violetten Seils ein, das auf einer Dreihundert-Meter-Rolle an der Kante des Felsfensters stand, und gab der Rolle mit dem Fuß einen Stoß. Die schwarze Plastikrolle fiel die Westwand hinab, schlug drei Sekunden später auf einem Felsblock unten auf und gab die letzten Meter Seil frei, indem sie in drei Stücke zerschellte.
Thien schaute aus dem Felsloch nach unten und sah, dass das Seil praktisch exakt bis zum Grund reichte. »Wow. Das nenne ich mal Präzision«, sagte er zu Kerstin Dembrowski.
Kapitel hundertdreiundzwanzig
Gipfelstation der Eibsee-Seilbahn , 14 Uhr 59
D ie Detonation war im Inneren der Station kaum zu hören. Nur Sekundenbruchteile später erzitterte das Gebäude. Das linke Tragseil der Seilbahn riss kurz über dem Befestigungspunkt, der zwanzig Meter hinter der Station lag. Das Seil, das durch die Station lief und damit dazu beitrug, dass sie am nackten Fels festsaß, zischte mit einem ohrenbetäubenden Sirren durch das Gebäude, wobei es einem holländischen Skifahrer beide Beine abriss. Dann wurde das lose Seilende nach unten gerissen. Das Eigengewicht machte das armdicke Stahlseil zu einer gigantischen Peitsche. Als diese im Wald knapp tausend Meter weiter unten aufschlug, entwurzelte sie mehrere Bäume.
Die Station knarzte. Die Konstruktion aus Glas, Stahl und Aluminium hatte mit der Explosion ein Drittel seiner Halterungen eingebüßt, mit denen es wie ein Zahntransplantat in den Kieferknochen auf dem Gipfel betoniert worden war. Die Station war zudem überfüllt. Niemand hatte bei der Statik des Gebäudes eingerechnet, dass einmal über zweitausend Menschen in ihr dauerhaft festsitzen würden. Deutlich gab der Boden am südlichen Eck des Kubus nach. Die Menschen auf dieser Seite versuchten, wie auf einem Schiff mit Schlagseite auf die andere zu gelangen.
Die Insassen der Station, die seit über einem Tag unter der Enge, dem Gestank und dem Ausbleiben jeglicher Nachricht gelitten hatten, gerieten in Panik. Auf allen Treppen entstand ein tödliches Geschiebe. Alle wollten nur noch eines: raus! Wohin, das wusste niemand. Die, die standen, fielen über die, die saßen und lagen. Alle Wege waren verstopft von Menschenleibern, die Türen auf die Sonnenterrassen blockiert von hinausdrängenden Körpern. Frauen kreischten. Kinder heulten. Männer schrien.
Die verbliebenen wenigen Gebirgsjäger , Rotkreuzler und Bahner waren chancenlos, die Menge, die wie eine Herde Rinder in einer Stampede alles klein trat, was sich ihr in den Weg stellte, zu bändigen. Jeder der Helfer hatte selbst seine liebe Not, einigermaßen heil davonzukommen.
»Explosion unter Gipfelstation!«, brüllte der für den Gipfel zuständige Bahnbetriebsleiter immer wieder in Panik in das Telefon, das ihn mit der Talstation verband. Er wusste, dass es möglich war, die ganze Bergstation vom Gipfel zu sprengen.
Kapitel hundertfünfundzwanzig
Bundeskanzleramt, 15 Uhr 02
D er Generalbundesanwalt schrie den Generalinspekteur der Bundeswehr vor versammelter Mannschaft an: »Das waren Ihre Leute! Sie sind persönlich für diese Eskalation verantwortlich!«
Dann wandte er sich wieder dem Bildschirm zu, auf dem das aschfahle Gesicht des BKA -Beamten Hans-Dieter Schnur zu sehen war. »Schnur. Wie konnte das passieren? Woher bekommen die Terroristen ihre Informationen?«
Hans-Dieter Schnurs Hirn arbeitete auf höchsten Umdrehungen. »Jemand muss beobachtet haben, wie dieses unselige Fahrzeug den Hang hinaufgefahren ist. Und zwar unmittelbar beobachtet. Auf den TV - und Internetkanälen konnte man das nicht mitkriegen. Die Abfahrt ist vom Medienzentrum Eibsee-Alm her nicht einsehbar. Vielleicht gibt es Kameras, die wir nicht kennen, vielleicht im Wald. Aber wenn es die gibt, müssen sie ihr Signal mit Kabeln übertragen. Die Funknetze, die nicht lahmgelegt wurden, werden überwacht, da wurden keine Videosignale angepeilt.«
»Haben Sie einen Maulwurf im Krisenstab?«, fragte der Generalbundesanwalt.
»Hier sind zwar viele
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