Kreuzzug
nicht angefangen?«, moserte er in die Runde.
Da Verbindungsoffizier Mainhardt nicht im Raum war, wusste keiner eine Antwort darauf.
Kapitel hundertdreiunddreißig
Reintalhöhle, 15 Uhr 34
S andra Thaler hörte die Stimmen immer häufiger. Inzwischen war sie sich sicher, dass sie nicht ihrer Einbildung entsprangen. Irgendwo in diesem Felslabyrinth waren Menschen. Nur zu gern wäre sie mit der Maschinenpistole im Anschlag weitergegangen. Doch sie brauchte immer wieder beide Hände, um sich an schmalen Graten entlangzuhangeln. Oder sie musste durch enge Spalten. Was würde sie tun, wenn sie auf die Besitzer dieser Stimmen traf? Mit ihrer MPi oder ihrer Kamera schießen?
Am anderen Ende einer großen Kammer, deren Wände so ebenmäßig waren, dass sie nicht zu sagen gewusst hätte, ob sie wohl vom Wasser ausgewaschen oder vielleicht sogar von Menschen aus dem Fels gehauen waren, vermeinte sie einen Lichtschein zu erblicken, der an einem höhergelegenen fensterartigen Loch vorbeihuschte.
Sie knipste schnell ihre Stirnlampe aus und stellte den Rucksack auf dem Boden ab. Vorsichtig ging sie in die Knie und zog langsam den Reißverschluss auf. Sie entschied sich für die Kamera statt der Maschinenpistole. Sandra ließ das lichtstärkste Objektiv im Bajonett des Gehäuses einrasten und stellte den Aufnahmemodus auf »Theater«. Diese Leiseschaltung war für Bühnenfotografen gedacht. Sie schwor sich, von einem Teil des Geldes, das ihr der
stern
anweisen würde, eine Leica-Ausrüstung zu kaufen. Mit der Sucherkamera konnte man laut Fachpresse nahezu völlig geräuschlos fotografieren.
Sie versuchte, an der glatten Wand bis hinauf zu dem Fenster zu gelangen, doch dafür hätte sie eine Leiter gebraucht oder wenigstens einen Hocker oder eine Bierkiste. Gut dreißig Zentimeter fehlten ihr.
Sie kniete sich wieder zum Rucksack und entnahm ihm nun doch die Waffe. Sie klappte die Schulterstütze aus und arretierte sie. Dann klemmte sie die MPi zwischen Boden und Wand der Höhle. Von Markus wusste sie, dass der deutsche Hersteller Heckler & Koch äußerst stabile Produkte herstellte, und so vertraute sie darauf, dass die MPi ihr Gewicht von rund fünfzig Kilogramm tragen würde. Sie stellte sich mit dem linken Fuß auf den nach oben weisenden Lauf und stieß sich mit dem rechten vom Boden ab. Der Schwung reichte, dass sie mit den Händen den Rand des Lochs oben in der Wand greifen konnte. Irgendwo fand ihr rechter Fuß auch einen kleinen Vorsprung in der Wand, der als Tritt taugte.
Der Durchbruch in die Halle nebenan war gerade dreißig Zentimeter breit und gut zwanzig hoch. Dort wäre sie nur mit äußersten Schwierigkeiten durchgekommen. Der Platz reichte aber aus, um die Kamera, die sie am Schulterriemen am Rücken trug, so in Position zu bringen, dass sie in den Nebenraum blicken konnte.
Sandra Thaler stellte den Schalter blind auf
on
und sah im Display etwas, was sie nicht für möglich gehalten hätte. Sie überlegte kurz, ob das ein Bild war, das auf der Speicherkarte der Kamera abgelegt war. Nein, das war live, sie sah auf dem kleinen Bildschirm genau das, was das Objektiv einfing.
Ein ziemlich großer Raum tat sich vor ihrem elektronischen Auge auf. In diesem standen Stockbetten, wie sie sie von Markus’ Fotos kannte, die die Stuben der Gebirgsjäger zeigten. Außerdem sah sie eine Menge Aluminiumkisten. In einigen der Stockbetten lagen Männer, an die Bettgestelle hatten sie Maschinenpistolen gelehnt, ähnlich der, auf der sie mit dem linken Fuß stand. Ein paar von den Männern rauchten.
In der Mitte des Raums stand ein großer Tisch, umstellt von kleinen Campinghockern. Als wären die sieben Zwerge im Krieg, dachte sie.
In dem Moment bewegte sich am hinteren Ende der Kammer zwischen zwei Stockbetten eine Stoffbahn mit Camouflage-Muster, die einen Gang abdeckte. Durch diese improvisierte Tür kamen zwei weitere Männer, ganz in Schwarz gekleidet. Über den Gesichtern trugen sie Skimasken, die nur die Augen frei ließen. Und zwischen sich schleppten sie eine Frau im roten Overall herein.
Diese Frau musste bewusstlos sein, denn sie bewegte sich auch nicht, als die beiden Träger sie auf dem großen Tisch ablegten. Ihr Gesicht war kreidebleich, ansonsten war alles an ihr rot.
Sandra Thaler erinnerte sich daran, weshalb sie gekommen war, und drückte den Auslöser. Sie selbst hörte trotz Leiseschaltung die Geräusche ihrer Canon, als verrichtete neben ihrem Ohr ein Stahlwerk seine Arbeit. Doch das lag an
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