Kreuzzug
ihren überstrapazierten Nerven. Die Männer in dem großen Raum bemerkten jedenfalls nichts.
Sandra Thaler knipste weiter und sah auf dem Display zu, wie erneut die Stoffbahn zur Seite geschoben wurde. Ihre Verblüffung hätte größer nicht sein können. Zwei Menschen traten ein, die gut und gern als Touristen auf dem Gipfel des Berges in der Kaffeebar hätten sitzen können. Sie sahen aus wie amerikanische Senioren.
Die Männer im Raum jubelten los, als der Amerikaner etwas hochhielt, das wie eine Kreditkarte aussah. Dann beruhigte er die ihn Umgebenden, die alle die Karte einmal in die Hand nehmen wollten. Er sagte etwas auf Spanisch. Sandra Thaler verstand die Namen
Pedro, José
und die Worte
hermano
und
muerto,
was
Bruder
und
tot
bedeutete, wie sie wusste. Die Männer ließen die Köpfe auf die Brust sinken und hielten eine Schweigeminute ab, die dann ganz plötzlich mit einem indianergeheulartigen Gesang und einem ekstatischen Tanz endete. Sie sangen etwas, was wie
»Yo – Soy – Mi – Pueblo«
klang. Damit konnte Sandra Thaler nichts anfangen.
Während die kleinwüchsigen Männer, die beim genaueren Hinsehen alle Indios zu sein schienen, im Kreis um den älteren Amerikaner tanzten, trat die amerikanisch aussehende Touristin zu der Frau auf dem großen Tisch und beugte sich über sie. Sie stand mit dem Rücken zu Sandra Thaler, sodass diese nicht sehen konnte, was sie mit der Liegenden anstellte. Aus den Bewegungen der Arme schloss sie, dass die Amerikanerin der Bewusstlosen den Reißverschluss des roten Overalls öffnete und an ihrem Körper herumnestelte. Sicher Wiederbelebungsmaßnahmen, dachte Sandra Thaler.
Dann aber riss die stehende Frau der scheinbar Verletzten ein paar Kabel aus der Kleidung, die dort offenbar eingenäht worden waren. Als die Ältere wieder zur Seite trat, sah Sandra Thaler, dass die Kehle der Liegenden von Ohr zu Ohr aufgeschlitzt war. Der Hals klaffte gut fünf Zentimeter auseinander.
Sandra Thaler musste größte Körperbeherrschung aufbringen, um nicht von der MPi zu fallen.
Kapitel hundertvierunddreißig
Eibsee-Hotel , 15 Uhr 38
S ie winken!« August Falk stand wieder als Beobachtungsposten am Fenster und sah es als Erster.
Tatsächlich. Dort oben aus dem Tunnelfenster winkten drei oder vier Menschen. Sie lebten. Die Geiseln im Tunnel lebten. Sie hatten sie nicht umgebracht.
»Wir fangen wieder zu graben an!«, rief Hans-Dieter Schnur in sein Headset. Der Befehl erreichte über Berlin die Zugspitze .
August Falk funkte Franz Hellweger an. »Franz, runter mit deiner Lok und Reparaturlok mit Bagger wieder nach oben. Wir müssen die Menschen aus dem Zug holen!«
»Moment!«, fiel Katastrophenschützer Hans Rothier den Männern in die Parade. »Wir wissen noch nicht, ob nicht weitere Sprengsätze am Gipfel versteckt sind. So wie das bisher gelaufen ist, beobachtet einer von denen, wie wir uns verhalten und ob wir etwas unternehmen! Denken Sie nur an den Kabelstrang, der aus dem Tunnel läuft! Welche Kabel sind das überhaupt?«
Der Mann hatte recht, das musste Hans-Dieter Schnur zugeben. »Kommando zurück! Keiner gräbt, bis Bombengefahr im Tunnel und auf dem Gipfel gebannt ist!«, lautete seine neue Anordnung. »Verdammt!«, schimpfte er. »Berlin, ich brauche diesen unglückseligen Mainhardt. Und zwar schnell!« Und als der sich eine Minute später in seinem Headset meldete: »Mainhardt. Sie können was wiedergutmachen. Gehen Sie rüber zum Tunnelportal und finden Sie heraus, welche Kabel dort aus dem Tunnel verlaufen.«
»Zu Befehl«, sagte Mainhardt gewohnheitsbedingt, obwohl ein BKA -Mann einem Soldaten der Bundeswehr keine Befehle zu erteilen hatte. Doch die normative Kraft des Faktischen hatte alle Beteiligten im Griff, da verwischten Organisationsgrenzen eben mal.
Fünf Minuten später meldete sich Mainhardt vom Tunnelportal. »Strang von zwanzig Litzen. Eine davon eindeutig Feldtelefon. Dann ist da noch ein Internetkabel. Alle anderen sehen wie Sprengkabel aus.«
»Jetzt wissen wir, wie die Burschen kommuniziert haben und wie die Bilder aus dem Tunnel ins Internet gekommen sind«, sagte Schnur lapidar. »Und wir wissen auch, dass sie noch um die fünfzehn Möglichkeiten haben, weiteren Schaden anzurichten.«
»Soll ich die Dinger kappen?«, fragte Mainhardt.
»Sind Sie wahnsinnig? Vielleicht gehen dann die Sprengsätze hoch, und Sie jagen den kompletten Gipfel in die Luft!« Schnur schüttelte fassungslos den Kopf.
»Glaub ich nicht, aber wenn Sie
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