Kreuzzug
eigentlich abgeblieben?«
»Äh … ebenfalls in Urlaub«, musste der Fraktionsführer der Liberalen zugeben.
»In Australien«, sagte jemand aus der Runde.
»Mit dem österreichischen Kanzler? Oh, là, là!«
Die Kanzlerin schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die kleinen blassblauen Sprudelfläschchen klirrten. Wie einen Haufen ungezogener Kinder brüllte sie die Kontrahenten an. »Was habe ich zu Beginn dieser Sitzung gesagt? Ich will keinen Parteienstreit in dieser Sache. Wir müssen das jetzt zum Wohle unseres Volkes und der Menschen in diesem Zug gemeinsam lösen. Reißen Sie sich doch einmal zusammen. Sie schaden ja am meisten sich selbst!«
Es wurde wieder ruhig im Konferenzraum.
»Als Erstes verhänge ich hiermit eine totale Nachrichtensperre. Wenn jemand in diesem Raum ein Wort nach draußen dringen lässt, wäre das nicht förderlich für die weitere politische Karriere des Betreffenden.«
Die Teilnehmer der Runde schauten sich gegenseitig an. Jeder wusste, dass dies eine schwache Drohung war und dass alle Anwesenden ihr Wissen nutzen würden, um ihre guten persönlichen Kontakte zu manchen Journalisten zu festigen.
Doch davon unbeirrt fuhr die Kanzlerin fort: »Der Generalinspekteur sagte es bereits, wir stehen vor einer Aufgabe, von der wir derzeit nicht wissen, wie wir sie bewältigen können. Wir müssen jetzt zunächst einmal abwarten. Viel mehr können wir von hier aus nicht tun. Setzen Sie bitte die Nachrichtensperre in Ihren Kommandostrukturen um, meine Herren.« Damit meinte sie die Uniformträger. Über die anderen im Raum hatte sie weniger Macht, als es den Anschein hatte. »Ich ziehe mich zurück und bereite meine Telefonate vor. Bei wichtigen Ereignissen finden Sie mich in meinem Büro.«
Mit diesen Worten stand die Kanzlerin auf und verließ grußlos den Raum. Die Debatte war damit aber nicht beendet.
»Ich will wirklich wissen, was die vorhaben«, fing die Fraktionsführerin der Grünen an. »Und wie die da wieder rauskommen wollen. Ich sag’s Ihnen, ich war da vor zwei Jahren mal oben bei einer Umweltkonferenz in dem Schneefernerhaus . Da bin ich mit dem Zug runtergefahren, weil mein Hubschrauber irgendwo mit einer Panne stand, stellen Sie sich das vor. Der Tunnel ist eng, und da ist viel Fels außen rum. Gruseln kann’s einem da drinnen, richtig gruseln!«
»Bitte, Frau Kollegin, können wir das Roibusch-Kränzchen später abhalten?« Der Staatssekretär des Innern trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte. »Was Ihnen die Frau Bundeskanzlerin nicht gesagt hat und was wirklich vorerst auch absolut unter Verschluss bleiben muss: Der Bundesverteidigungsminister und der Bayerische Ministerpräsident scheinen oben auf dem Gipfel gefangen zu sein.«
Ein erschrockenes Raunen ging sofort durch die Runde.
»Gefangen?«, fragte wieder die am schnellsten plappernde Grüne. »Von den Geiselnehmern?«
»Nein, eher von der Situation, oder … na ja, die Geiselnehmer haben den Hubschrauber abgeschossen, der die beiden von ebenjenem Schneefernerhaus hinunterbringen sollte, auf dem Sie damals Ihre Umweltkonferenz abgehalten haben. Jetzt traut sich keiner mehr da raufzufliegen. Und die Bergbahnen sind ja auch nicht zu benutzen. Die Gattin des Ministers ist auch dabei. Und der Körber.«
»Ha, das kommt von der Mediengeilheit dieser dekadenten Emporkömmlinge!«, blaffte der Chef der Linkspartei.
»Ich bitte Sie. Wer von uns darf da wohl den ersten Stein werfen?«, fragte der Staatssekretär des Innern. »Sie etwa?«
»Kommen Sie mir nicht mit Bibelsprüchen!«, hielt ihm der Linke entgegen.
Dann aber wurde es ganz still im Raum. Der Staatssekretär blickte reihum in alle Augenpaare, holte tief Luft und sagte schließlich: »Das mit dem BVM und dem MP muss wirklich in dieser Runde bleiben. Noch ist nichts von der Lage der beiden nach draußen gesickert. Die Handys gehen auf dem Gipfel nicht, und außerdem haben die Leute da jetzt auch anderes zu tun. Und der Krisenstab am Fuß des Berges auch. Meine Herrschaften, ich sage es, wie es ist: Wir müssen die von Brunnsteins und den Lackner runterholen, koste es, was es wolle, bevor das jemand mitbekommt. Das ist im Moment fast wichtiger als die Menschen im Tunnel. So zynisch das klingen mag, aber einen solchen internationalen PR - GAU können wir uns nicht leisten. Herrschaften, da geht es um unsere Volkswirtschaft. Deutschland lässt Verteidigungsminister und Ministerpräsident auf einem vermaledeiten Berg
Weitere Kostenlose Bücher