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Kreuzzug

Kreuzzug

Titel: Kreuzzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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durch den Kopf. Er war sicher nicht vor dreißig Jahren nur knapp mit dem Leben davongekommen, damit es ihm diese Typen hier nahmen. Er würde überleben. Wie er die Bootsreise überlebt hatte. Er würde sich Sandra zurückholen. Wie hatte er sie nur gehen lassen können? Mit dieser Dumpfbacke von Soldaten? Thien kannte Sandras Markus nicht, aber für ihn war klar, dass alle Soldaten Dumpfbacken waren. Soldaten hatten Thiens Dorf angezündet. Soldaten hatten seine Mutter ins Meer getrieben. Ein Soldat hatte ihm nun seine Frau ausgespannt.
    Thien fragte sich, ob er allmählich verrückt wurde. Soldaten waren sicher auch im Einsatz, um ihn hier herauszuholen. Aber was sollten sie tun? Nein, Hilfe von außen, die war zu unsicher. Vielleicht dachten die dort draußen, der ganze Zug wäre verschüttet. Vielleicht hielten die Geiselnehmer auch oben auf dem Gipfel Leute fest. Erschossen sie, quälten sie. So wie hier unten. Wer wusste schon, was sie vorhatten, diese Irren?
    Nur eines wusste Thien: Es wurde Zeit, etwas zu unternehmen. Die Geiselnehmer mussten irgendwann müde werden. Selbst wenn sie sich mit Aufputschmitteln gedopt hatten, irgendwann mussten sie in ihrer Konzentration nachlassen.
    Thien steckte Sandra, ihren Soldaten mit seinem wahrscheinlich gestählten Oberkörper, seine immer wiederkehrende Vorstellung, wie sie es mit diesem Rambo-Typen trieb, seine eigene Kindheit und Jugend, Vietnam und das Meer, Partenkirchen, Whistler Mountain und all den Gedankenkram in die dafür vorgesehenen Schubladen seines Unterbewusstseins zurück. Dann blickte er hinüber zu seinem stummen Komplizen Craig und dessen Frau, die Barbara hieß, wie er mittlerweile wusste.
    Auch Craig war kurz eingenickt, wie so viele im Zug. Die Nerven der meisten Insassen machten nach ein paar Stunden höchster psychischer Anstrengung nicht mehr mit, und bevor das Gehirn durch den Überfluss an Emotionen und Eindrücken Schaden nahm, schickte es sich selbst und den Körper in eine Erholungspause.
    Prompt kam Abwechslung in den Wagen. Zwei Maskierte stiegen zu, die »Watch, watch!«, »Mobile, mobile!« und »Camera, camera!« rufend zwischen den Sitzen stehen blieben, um die Uhren, Handys und Kompaktkameras der Gefangenen in einem großen schwarzen Plastiksack einzusammeln. Thien war sich sicher, dass sich die Geiselnehmer damit nicht bereichern, sondern dafür sorgen wollten, dass die Eingeschlossenen das Zeitgefühl verloren. Doch warum machten sie das erst jetzt, nach einigen Stunden?
    Offenbar richteten sich die Geiselnehmer auf eine längere Verweildauer im Tunnel ein. War das von ihnen auch so geplant gewesen? Oder war dort draußen etwas geschehen, was sie nicht vorhergesehen hatten? Oder hatten sie nur gewartet, bis ihre Opfer genügend ermattet und eingeschüchtert waren, um sich widerstandslos alles wegnehmen zu lassen?
    Zuerst waren Craig und seine Frau an der Reihe. Dann stand einer der Männer vor Thiens Sitzbank und forderte mit einem Klopfen auf sein Handgelenk zur Abgabe des Zeitmessers auf. Thien tat wie befohlen. Er nahm die billige Casio-Uhr vom Arm, kramte das iPhone aus der Anoraktasche und warf beides in den schwarzen Sack. Er tat dies mit großem Herumkramen, um den Mann, der ihm die Plastiktüte hinhielt, von seinem Fotorucksack abzulenken, der hinter seinen Unterschenkeln unter der Bank versteckt war. Notfalls würde ihm das Display der Nikon eine Zeitangabe liefern.
    Und, was noch wichtiger war, die eins Komma zwei Kilo hochfester Magnesiumlegierung machten aus der Profikamera eine wuchtige Schlagwaffe.

Kapitel neunundvierzig
    Berlin, Bundeskanzleramt, 19  Uhr 30
    I ch habe Sie hierhergebeten, weil sich unser Land in einer schwierigen Situation befindet. Sie alle haben die Bilder heute im Fernsehen und im Internet gesehen. Terroristen haben den höchsten Berg Deutschlands besetzt und Geiseln genommen. Das ist eine Situation, mit der«, die Bundeskanzlerin wandte den Kopf nach rechts und schickte dem Staatssekretär des Innenministers einen strengen Blick, »niemand auch nur im Entferntesten gerechnet hat. Wir müssen nun zusammenstehen. Noch schlimmer als der Anschlag wäre es, würden wir uns als Repräsentanten von Staat und Parteien in dieser Situation vor der Weltöffentlichkeit gegeneinander ausspielen. Ich werde in Kürze mit dem amerikanischen Präsidenten telefonieren. Bis dahin bitte ich Sie alle, sich hier im Kanzleramt zur Verfügung zu halten. Einige von Ihnen werde ich wahrscheinlich zum

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