Kreuzzug
festsetzen. Würden Sie da noch Siemens-Aktien kaufen?«
Kapitel fünfzig
Auf der Zugspitze , 20 Uhr
D ie Menschen auf der Zugspitze hatten andere Sorgen als die Siemens-Aktie. Sie richteten sich auf eine ungemütliche Nacht ein. Niemand würde erfrieren. Keiner würde verhungern oder verdursten müssen. Vorerst. Die Kapazitäten des Selbstbedienungsrestaurants SonnAlpin , der leer geräumten Pistenraupengaragen und der beiden Gipfelstationen reichten für die gut fünftausend Menschen aus. Einige hatten Glück und für sich noch einen Platz im Igludorf ergattert, das hier oben als besondere Winterattraktion errichtet worden war. In den Schneehäusern gab es Schlafsäcke und Schlafstätten aus Fell. Natürlich hatte der Betreiber die ohnedies gesalzenen Preise für die Übernachtung kurzerhand vervierfacht.
Wer sich diesen Luxus nicht leisten konnte, musste sich auf Decken, die vor dem Flugverbot noch nach oben geschafft worden waren oder zur vorhandenen Notausrüstung gehörten, in den Räumen und Treppengängen ein Nachtlager einrichten. Für alle Festgesetzten reichten die Decken nicht aus, und Markus Denningers Männer, die nicht mit ihm im Schneefernerhaus zum Schutz der Politiker abberufen waren, hatten zusammen mit den Bergwachtlern und Zugspitzbahnern an allen Ecken Streit zu schlichten.
Unter den Ausharrenden hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen, was auf der österreichischen Seite mit der Seilbahn geschehen war. Nur wenige Minuten nachdem die Bahn voll besetzt abgefahren war, war oben in der Gipfelstation ein Beben durch die Tragseile gegangen. Sie hatten zu sirren begonnen, als die Stütze in der Mitte des Berges umstürzte und die Seile auf die Seite gerissen wurden. Die Betonverankerungen der Tragseile befanden sich am Fels hinter der Station und hielten der Belastung schließlich nicht mehr stand. Sie zersprangen mit explosionsartigem Knall, und die Menschen, die in der ersten Reihe standen, um in die nächste Gondel zu steigen, hatten sich in Panik weggeduckt. Nach hinten ausweichen konnten sie nicht, da die Menschenmassen sie nach vorn drückten. Als die Seile mit ihren Armierungen durch die Station knallten wie die Enden einer Peitsche, fetzten sie nur wenige Zentimeter über den Köpfen der Wartenden hinweg. Es war ein Wunder, dass niemand geköpft wurde.
Allen in der österreichischen Gipfelstation war sofort klar gewesen, dass die Gondel mit den eben erst abgefahrenen Menschen, die geglaubt hatten, endlich gerettet zu sein, abgestürzt war. Drei der Wartenden hatten Angehörige in der Gondel. Ein Mann hatte seine Frau und beide Kinder zuerst nach unten geschickt. Er brach auf der Stelle zusammen, und die Sanitäter, die sich mit dem Arzt im blauen Skianzug noch um den Herzinfarktpatienten kümmerten, mussten ihn sofort einer Schockbehandlung unterziehen.
Eine Viertelstunde später war die Nachricht durch die schier endlose Schlange der Wartenden gedrungen und kam auch auf dem Platt im SonnAlpin an. Daraufhin wussten die Menschen, dass es eine lange Zeit dauern würde, bis sie wieder vom Berg hinunterkämen. Allen war bekannt, dass der Tunnel der Zahnradbahn eingebrochen war, und nun war auch die österreichische Seilbahn zerstört worden. Vergeblich versuchten die Wartenden über ihre Handys und Smartphones weitere Informationen zu erhalten. Aber außer den in den Geräten noch gespeicherten Internetseiten, die sie aufgerufen hatten, bevor die Netze abgeschaltet worden waren, gab es nichts Neues zu lesen. Terroristen hatten sämtlichen Verkehr lahmgelegt, war dort zu lesen.
Wellen der Angst schwappten durch die Menge. Was würden die Terroristen als Nächstes tun?
Die Hilfskräfte waren für einen solchen Einsatz nicht ausgebildet. Es hätte mehrerer Hundertschaften der Bereitschaftspolizei und jede Menge an Krisen-Interventions-Spezialisten bedurft, um beruhigend auf die Menschen einzuwirken. Bergwachtler, Liftler und Bundeswehrler hatten keinerlei Erfahrung, wie die Psychologie der Massen funktionierte und wie sie günstig zu beeinflussen wäre. Sie taten ihr Bestes und redeten wieder und wieder beruhigend auf die Leute ein. Doch manche wurden auch zunehmend ungeduldiger mit den Skifahrern, vor allem mit denen, deren Sprache sie nicht verstanden. Außerdem war auch den Helfern bewusst, dass auch sie zu Opfern werden konnten.
Einzig die verwinkelte Lage der Gipfelgebäude verhinderte, dass die weiter vorne stehenden Menschen in der langen Schlange von hinten mit Druck
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