Kreuzzug
wie man in der Öffentlichkeit behaupten konnte –, fiel die Verantwortung für die ganze Chose auf die Kanzlerin selbst.
»Wir werden jetzt einen Verhandlungsführer bestimmen.« Die Kanzlerin machte nicht den Eindruck, als würde diese Schlüsselperson wie bei einer Klassensprecherwahl durch Handzeichen gewählt.
»Der Staatssekretär des Innern wird hier gebraucht«, ließ sie dessen Hoffnung auf einen enormen Karrieresprung platzen, »der Innen- und der Außenminister machen Urlaub, und der Verteidigungsminister steht auch nicht zur Verfügung, wie Sie mittlerweile wissen dürften. Daher schlage ich nach Beratung mit den Spitzen der Bundespolizei, des Grenzschutzes und der Bundeswehr Frau Kapitän zur See Kerstin Dembrowski vor.«
Den versammelten Männern fielen wie auf Kommando die Kinnladen runter. Mit offenen Mündern saßen sie da. Die Gehirne der meisten Sitzungsteilnehmer hatten offenbar Schwierigkeiten, die beiden Worte »Kapitän« und »Frau« in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Sie starrten die Kanzlerin an, als ob sie sich vergewissern müssten, dass diese Begriffe soeben zwischen den zurückhaltend geschminkten Lippen geschlüpft waren. Dazu schrieben die Augen der Versammelten ein großes »Kerstin wer« mit drei Fragezeichen in die Luft über den Konferenztisch.
Dann drehten sich die Köpfe, und alle Blicke richteten sich auf die zierliche Person am hinteren Ende des Konferenztischs, auf die die Kanzlerin mit der flachen Hand deutete.
Kerstin Dembrowski hatte den ganzen Abend noch keinen Ton von sich gegeben, sondern eifrig auf ihrem Tablet- PC mitgeschrieben. Diejenigen im Raum, die nicht wussten, wer sie war – und das waren die allermeisten –, hatten sie die ganze Zeit über für eine Art Sekretärin des neben ihr sitzenden Bundeswehr-Generalinspekteurs gehalten. Der war zusammen mit dem Geheimdienst-Koordinator und dem Chef der Bundespolizei einer der wenigen Männer am Tisch, die ein zufriedenes Gesicht machten.
Auch in der langen Sitzungspause hatte sich niemand mit der jungen Frau unterhalten. Erst jetzt fiel dem einen oder anderen in der Runde auf, dass sie in der Pause gar nicht da gewesen war. Klar, sie hatte wahrscheinlich die ganze Zeit über an der Seite der Kanzlerin gesessen, während diese mit den anderen Staatenlenkern telefoniert und ihre Pläne geschmiedet hatte.
»Kapitän Dembrowski, wenn Sie sich bitte kurz vorstellen würden. Ich glaube, nicht jeder in diesem Raum weiß, wer Sie sind.«
Kerstin Dembrowski musste sich nicht aufrichten, als sie von der Kanzlerin das Wort erteilt bekam. Sie saß immer kerzengerade. »Kapitän zur See Kerstin Dembrowski, Marinestützpunkt Eckernförde. Psychologie-Ausbilderin der Kampfschwimmer. Promoviert in Psychologie an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Lehraufträge an der United States Military Academy in West Point. Auslandseinsätze am Horn von Afrika, im Libanon und Afghanistan. Derzeit abkommandiert ins Kanzleramt als Koordinatorin der einheitlichen psychologischen Verhandlungsausbildung der Teilstreitkräfte sowie der Bundespolizei und des BND .«
Die meisten Männer am Tisch saßen immer noch mit offenem Mund da.
Die Überraschung hielt an, und die Runde schwieg eine gefühlte halbe Ewigkeit lang. Dann begann der Chef der bayerischen Landesgruppe zu glucksen. Er war, nachdem der Bayerische Ministerpräsident nun ausfiel, als oberster Bayer in die Kanzlerrunde berufen worden.
»Mit Verlaub, Frau Bundeskanzlerin, und bei allem Respekt vor den zweifelsfrei beachtlichen Leistungen, die diese junge Dame schon erbracht hat, aber Sie wollen die Marine ins Hochgebirge schicken? Bin ich im Quatsch Comedy Club auf RTL gelandet?«
»Sparen Sie sich doch Ihre Stammtischsprüche für das nächste Weißwurstfrühstück in der Bayerischen Vertretung, Herr Doktor«, entgegnete die Kanzlerin ungerührt. »Frau Dembrowski soll nicht rodeln, sondern reden. Sagen Sie doch gleich, dass es Ihnen nicht passt, dass eine Frau den Job übernimmt. Außerdem läuft der Quatsch Comedy Club auf Ihrem Heimatsendender Pro Sieben.«
Der Bayer wurde still. Nicht nur die Frauen in der Runde maßregelten seinen Ausbruch mit tadelnden Blicken und Kopfschütteln.
Schließlich unterbrach eine junge Frau, die zwei Plätze neben der Kanzlerin saß, das peinliche Schweigen.
»Na ja, mal Spaß beiseite: Ob Islamisten mit einer Frau verhandeln, wage ich zu bezweifeln … muss jetzt sogar ich sagen.«
Die Kanzlerin strafte die Rednerin
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