Kreuzzug
Polizeiorganisationen und der Bundeswehr mussten den Eindruck gewinnen, dass man gemeinsam an einem Befreiungsplan arbeite. Obwohl so mancher im Krisenstab anzweifelte, dass der zustande kommen würde.
»Meine Damen und Herren, wir müssen das allein hinkriegen«, berichtete die Kanzlerin. »Die Amerikaner und die NATO unterstützen uns mit Aufklärungsarbeit, aber die Amis wollen keine Gefangenen freilassen. Und kämpfende Einheiten senden sie auch nicht. Auch Gegenschläge werden derzeit keine vorbereitet. Niemand weiß mit Sicherheit, wo die Terroristen beheimatet sind. Da führt es zu nichts, ein afghanisches Dorf dem Erdboden gleichzumachen.« Sie sah den Staatssekretär des Innern an. »Ich will bis acht einen Plan zur Befreiung der Geiseln auf dem Tisch haben. Ich gehe davon aus, dass die Spezialisten der Bundespolizei seit Stunden daran arbeiten.«
»Bekommen Sie, Frau Bundeskanzlerin«, antwortete der Staatssekretär. »Wir berechnen noch immer die Kollateralschäden. Leider kommen wir bei unseren Planungsspielen noch immer auf fast neunzig Prozent Verluste bei den Geiseln.«
»Das sind zehn Prozent Überlebende, immerhin«, antwortete die Kanzlerin ohne einen Anflug von Sarkasmus in der Stimme. Sie meinte es so, wie sie es sagte. »Wenn Sie auf fünfzig Prozent kommen, gebe ich den Einsatzbefehl. Mehr kann man aus dieser Situation wohl nicht machen. Wie geht es eigentlich dem Verteidigungsminister und dem MP ?«
»Die sind in diesem Schneefernerhaus derzeit relativ sicher«, antwortete ihr der Generalinspekteur der Bundeswehr. »Wir halten aber keinen Kontakt mit den beiden. Sie sollen keine einsatztaktischen Informationen mitbekommen, die sie im Falle ihrer Gefangennahme an die Angreifer verraten könnten.« Er ließ sich nicht anmerken, dass es ihn mit besonderer Freude erfüllte, dass sein oberster Dienstherr damit ausgeschaltet war. Doch jeder im Raum wusste, dass es so war. »Wir prüfen, ob eine Befreiung des Herrn Ministers über das Zugspitzplatt möglich und sinnvoll ist.«
»Sie meinen, er soll zu Fuß gehen?«, fragte die Kanzlerin.
»Er soll mit Ski abfahren. Er schafft das. Bei seiner Frau sind wir uns allerdings nicht sicher. Skifahrtechnisch ist sie dazu in der Lage, meinen unsere Fachleute nach Auswertung entsprechender TV -Aufzeichnungen. Die beiden waren ja letztes Jahr mit den Grimaldis in Sankt Moritz; davon gibt es Material ohne Ende. Aber auf dem Weg von der Zugspitze hinunter gibt es eine Kletterstelle von fünfzig Metern Tiefe. Auch die schafft der Herr Minister, Frau von Brunnstein womöglich aber nicht, und hinzu kommt, dass das Ganze einigermaßen lawinengefährdet ist.«
»Und der Ministerpräsident?«
»Oh, der MP . Da ist überhaupt nicht dran zu denken, dass er selbst fährt, meinen unsere Gebirgsjäger . Der Mann ist das letzte Mal vor vierzig Jahren alpin aktiv gewesen. Wir überlegen derzeit, ob wir ihn möglicherweise in einem Akia nach unten bringen können.«
»Akia?« Die Kanzlerin hatte das Wort noch nie gehört.
»Das sind Wannenschlitten, in denen verletzte Skifahrer abtransportiert werden. Geht auf der Piste wunderbar, wir haben dann nur auch hier das Abseilproblem.«
»Sie bekommen das schon hin. Sehen Sie zu, dass Sie die drei möglichst bald von dort runterschaffen. Vor Sonnenaufgang ist doch sicher am besten, oder?«
»Leider hat es in der Nacht mindestens einen Meter Neuschnee gegeben«, widersprach der Generalinspekteur. »Es herrscht höchste Lawinengefahr jetzt auch auf dem Platt. Normalerweise werden die Lawinen vor Beginn des Skibetriebes gesprengt. Daran ist heute natürlich nicht zu denken, weil man damit höchstwahrscheinlich irgendwelche Aktionen der Terroristen auslöst. Das heißt, der Schnee muss sich erst einigermaßen setzen, wenn wir die drei Leute sicher herunterbekommen wollen. Daher Abtransport, wenn überhaupt, erst am Abend im Schutz der Dunkelheit. Außerdem habe ich Befehl gegeben, dass der Mann, der den Hubschrauber abgeschossen hat, gefangen genommen wird, damit wir ihn ausquetschen können.«
»Es gefällt mir gar nicht, die drei hochgefährdeten Personen einen ganzen Tag länger in unmittelbarer Nähe der Terroristen zu belassen«, warf der Staatssekretär des Innern ein.
»Übernehmen Sie die Verantwortung, wenn der deutsche Verteidigungsminister unter einer Lawine begraben wird?«, fragte der Generalinspekteur scharf.
»Herrschaften, zurück zum eigentlichen Thema«, befahl die Kanzlerin. »Wir werden nicht
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