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Kreuzzug

Kreuzzug

Titel: Kreuzzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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wird nicht verhandelt, lautete das ungeschriebene Gesetz. Ein deutscher Bundeskanzler hatte es 1977 formuliert: Helmut Schmidt. Seither wurde es gebetsmühlenartig von Staatenlenkern wiederholt.
    Natürlich wusste jeder, dass bereits seit den siebziger Jahren Spezialisten ausgebildet wurden, ebendies zu tun, und dass in vielen Fällen auch Lösegeld an politisch motivierte Entführer gezahlt wurde. Aber zugegeben hätten das die Verantwortlichen niemals. Und hier stand nun etwas radikal anderes in der Meldung der deutschen Regierung: Man bot den Geiselnehmern im Zug sogar Verhandlungen an, obwohl sie gar nicht danach verlangt hatten. Und man hatte eine Person namentlich damit beauftragt, diese Verhandlungen zu führen. Eine Ungeheuerlichkeit, die in der Geschichte des Terrorismus einmalig war.
    Überhaupt, diese Person: Sofort hatten die Agenturen und Medien ihre Quellen nach Kerstin Dembrowski ausgehorcht, doch viel mehr als den offiziellen Werdegang konnte man über sie nicht in Erfahrung bringen. Die junge Frau, gerade einmal dreißig, schien so etwas wie ein Privatleben nicht zu haben.
    Nur einige wenige Medien befassten sich mit den wahrscheinlichen Hintergründen des Verhaltens der Bundesregierung, und sie kamen zu dem Schluss, dass die Lage im Berg äußerst schwierig für die Einsatzkräfte sein musste. Offenbar kam man mit einem Einsatzkommando nicht an die Geiselnehmer heran und setzte daher auf Verhandlungen, und sei es nur, um für die Geiseln Zeit zu schinden. Es galt, die Geiselnehmer so lange wie möglich hinzuhalten.
    Kerstin Dembrowski und mit ihr der Einsatzstab von Bundespolizei und Bundeswehr bekamen, was sie wollten: die volle Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit innerhalb einer Stunde und damit rechtzeitig, bevor die Terroristen diese um neun Uhr auf sich ziehen konnten.

Kapitel einundsiebzig
    Kammhotel , 7  Uhr 45
    M arkus Denninger fand den Einstieg des Indios schnell. Er hatte ein Loch in das Dach des Kammhotels geschlagen und war dadurch eingedrungen. Was hatte er hier nur gewollt?
    Ski und Sturmgewehr auf den Rücken geschnallt, machte sich Denninger mit Steigeisen an den Skistiefeln in Richtung Gipfelgrad auf und nutzte die Spur, die der Indio bei seinem Abstieg hinterlassen hatte. War der Kerl vielleicht selbst der Bazooka-Heckenschütze gewesen? Hatte sich der Mann aus seiner Kampfstellung zurückziehen wollen? Oder hatte er den Auftrag gehabt, das Kammhotel zu sichern? Spielte die Hotelruine in den Plänen der Terroristen für den weiteren Verlauf ihrer Aktion eine Rolle?
    Denninger wollte so schnell wie möglich den Gipfelgrad erreichen und sich auf diesem zu seiner Ausgangsposition für den Angriff begeben. Er musste Gewissheit haben, ob der Mann im schwarzen Overall sein Heckenschütze gewesen war oder nicht. Denn wenn er es nicht war, dann war der Kerl von einer der Gipfelstationen gekommen. Und dann konnte es dort oben noch weitere Männer geben.
    Der Aufstieg durch den tiefen Schnee fiel ihm schwer, zumal das Gelände sehr steil war. Bei jedem Schritt nach oben rutschte er die Hälfte des Höhengewinns wieder nach unten. Der Schweiß rann ihm aus jeder Pore.
    Endlich erreichte er den Grat.
    Im Osten ging über dem Karwendel die Sonne auf. Die Wolken hatten sich auf eine Höhe von rund 1500  Metern gesenkt und verwandelten das Land in ein Meer aus Watte, aus dem die Gipfel des Wanks, der Dreitorspitze und der Alpspitze wie steile Inseln hervorragten. Der Himmel über ihm war ein einziger Farbübergang von gelblichem Rot im Osten bis zu Mittelblau im Westen, wo die Sonnenstrahlen noch nicht hingelangten. Kurz dachte er an Sandra. Sie hätte ihre Kamera gezückt und mit einem Weitwinkelobjektiv eines ihrer Panoramabilder geschossen, das dann irgendwann im Magazin des Alpenvereins veröffentlicht worden wäre. Vierundzwanzig Stunden war es erst her, dass sie den Wecker absichtlich überhört und sich einen zweisamen Morgen im warmen Bett gemacht hatten. Vierundzwanzig Stunden, in denen die Welt eine andere geworden war. Vor ein paar Minuten hatte er einen Mann getötet.
    Wie viele würde er an diesem Tag noch töten müssen, um die Welt wieder zu der zu machen, die sie am Tag zuvor gewesen war? Würde sie jemals wieder so sein wie vor diesem sechsten Januar?
    Doch für die Schönheit des Sonnenaufgangs über dem Karwendel und dem Wettersteinmassiv und seine philosophischen Betrachtungen hatte er nun keine Zeit mehr. Er war spät dran. Eigentlich hätte es nicht so hell sein

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