Kreuzzug
sollen. Nun musste er das Risiko eingehen, von den Gipfelstationen her gesehen zu werden. Er rechnete jederzeit damit, von einem Schuss von oben getroffen zu werden. Darum stapfte er noch schneller durch den Schnee, der zum Glück auf dem Grat nur wenige Zentimeter hoch auf dem Fels lag. Der Wind hatte ihn verblasen.
Denninger zückte sein GPS -Gerät und stieg rechts den Grat entlang nach oben. Nach knapp einhundertfünfzig Metern hatte er die berechnete Stelle erreicht. In direkter Falllinie unter ihm musste der Mann mit der Bazooka im Schnee liegen.
Markus Denninger nahm die Ski von Rücken, legte die Steigeisen ab, zog die Schnallen der Skistiefel fest und stieg in die Bindungen. Anschließend schob er die Teleskopstöcke zusammen und verstaute sie mit den Steigeisen in seinem schmalen Rucksack. Er rückte sich die Skibrille wie ein Rennläufer vor dem Start noch einmal zurecht, prüfte das Sturmgewehr und lud es durch, bevor er es fest mit den Händen umschloss.
Dann glitt er in den steilen Hang hinein. Er machte ein paar kurze Schwünge, mehr Sprünge in dem fast fünfzig Grad steilen Gelände, und hoffte, dass die windverpresste Schneedecke ihre Schichten zusammenhielt und nicht weiter unten seine Ankunft durch abrutschende Schneeplatten angekündigt wurde.
Schließlich nahm er Deckung hinter einem Felsvorsprung, der aus dem Schnee ragte. Alles gut so weit. Bisher kein Schuss von oben oder unten. Kein abrutschendes Schneebrett hatte ihn ins Jenseits befördert. Er sah jetzt die Lawinenverbauungen, die oberhalb des Schneefernerhauses in die Wand betoniert worden waren, um ein Unglück wie das von 1965 zu verhindern. Hinter einer dieser Stahlkonstruktionen kauerte sein Mann. Er konnte auf dem GPS -Gerät, das er zur Kontrolle seiner Position aus der Jackentasche zog, erkennen, wo der Kerl liegen musste, aber er sah ihn nicht.
Kuschelig eingeschneit,
dachte er.
Dann mal auf zum Weckruf.
Er prägte sich genau ein, wo er in wenigen Sekunden zwischen Felsen und Lawinengattern durchwedeln würde, zählte dann stumm bis drei und stach in praktisch direkter Linie zum Punkt X hinunter. Das G 36 hielt er im Hüftanschlag. Er hatte es auf Dauerfeuer gestellt.
Als er auf zwei Meter an Punkt X heran war, schwang er ab, stieg mit den Skienden auf die hinteren Verschlüsse der Sicherheitsbindungen und sprang auf den Punkt, wo der Mann im Schnee versteckt sein musste. Er stieß die Arme durch das kalte Weiß nach unten, aber da war nichts. Stattdessen tauchte einen Meter vor ihm wie eine Mumie eine Gestalt auf. Die Gestalt hatte eine Pistole in der Hand und zielte auf Denninger. Der warf sich herum und rollte durch den Schnee hangabwärts. Hätte ihn nicht das Lawinengitter aufgefangen, wäre er einige hundert Meter weiter unten aufgeprallt. Nun lag er auf dem rostigen Eisen der Verbauung – direkt auf seinem Gewehr. Er hatte größte Mühe, auf dem Gitter aufzustehen, um die Waffe zu greifen. Von oben knallten die Schüsse. Querschläger sprangen vom Metall der Lawinensperre ab und ihm um die Ohren. Endlich bekam er das Sturmgewehr zu fassen. Er zog durch. Die Kugeln pfiffen vor ihm in den Schnee und zogen eine Linie von kleinen Wölkchen direkt zu der Stelle, an der der Mann im Schnee saß. Als die tödliche Spur ihn erreichte, zuckte es im Schnee.
Der Schnee um den Mann herum färbte sich rot. Treffer. Auch versenkt? Denninger schickte zur Sicherheit einen kurzen Feuerstoß hinterher. Dann stieg er die zehn Meter zu dem Gegner hinauf.
Zwanzig Zentimeter unter der Oberfläche fand Denninger einen ehemals weißen und jetzt rot verschmierten Biwaksack, aus dessen Einschusslöchern das viele Blut quoll. Markus Denninger suchte nach einem Kopf. Er grub sich weiter nach oben und fand ihn, eingehüllt in die Kapuze eines Expeditionsschlafsacks. Langes schwarzes Haar umrandete ein fremdländisch aussehendes Gesicht. Es trug die ebenmäßigen Züge eines jungen Indios. Die Augen waren geschlossen. Ruhe und Frieden lagen in diesem Gesicht. Außer den Schreien der pechschwarzen Bergdohlen, die der Schusswechsel aufgeschreckt hatte, war es still.
Kapitel zweiundsiebzig
Eibsee-Hotel , 8 Uhr
K erstin Dembrowski setzte sich an den für sie bereitgestellten Laptop und begann zu tippen. Die Webcam übertrug ihr Gesicht in die Welt. Sie sagte noch nichts, sondern schrieb nur, auf Deutsch, während der elektronische Übersetzungsdienst des MAD ihre Botschaft fast in Echtzeit in die anderen Sprachen übertrug. Die ersten
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