Krieg der Kulturen (German Edition)
kurzen
Blick auf Sylvias Kunstwerk, die noch an etwas
Undefinierbarem skizzierte. Auf den ersten Blick konnte
ich es noch nicht erkennen. Fragen wollte ich erst recht
nicht, da sie im 4. Semester Kunst studiert und ich immer
noch im Büro herumsitze.
Noch nicht einmal eine angenommene Anwärterin oder
Ähnliches war ich. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, sonst
gibt man sich selbst auf.
Einige sahen sich mein großes Gemälde an, dass ich durch
unseren Künstlertransport in den Klub bringen ließ. Einer
unserer Künstler hatte besonderes Interesse daran, dass er
aber nicht zeigte. Es war unser Tibeter. Er war von kleiner
Statur mit asiatischen Gesichtszügen. Er nutzte jede sich
bietende Gelegenheit, um das Gemälde aus allen
möglichen Blickwinkeln zu studieren.
„Unglaublich, diese Vielfalt, diese Friedfertigkeit, diese
Ruhe!", dachte er und widmete sich wieder seinem
eigenen Gemälde, doch das Große ließ ihn nicht in Ruhe.
Er gedachte für einen kurzen Moment der gewaltsamen
Unterwerfung seines Landes durch die Chinesen. Tibet war
immer ein friedvolles Land, bis Rot-China es annektierte.
Er spürte Wut in sich aufkommen und versuchte sie zu
unterdrücken. Diese Gefühle waren seiner nicht würdig. Er
schaute wieder auf das große Gemälde der deutschen
Künstlerin und erschrak. Nun sah er etwas Gewaltiges,
etwas Grausames in dem Bild. Wie war das möglich? Sollte
sie wirklich? Aber das war doch unmöglich? Er hatte
einmal gelesen, dass es möglich sei, ein Gemälde so zu
malen, dass der Betrachter je nach eigener
Gemütseinstellung eben jene widergespiegelt sieht und
sich bestätigt fühlt. Sollte diese Frau, diese Chloé Corin
das wirklich geschafft haben? Aber er hatte den Beweis
eben erlebt. Er schaute wieder auf das Bild und nun
erkannte er Verwirrung und eine unausgesprochene Frage
darin.
Dieses Gemälde war eine Naturgewalt, etwas das einfach
unbeschreiblich war … und es war gefährlich. In den
falschen Händen könnte es für unsagbares Leid sorgen. Ich
muss meinen Leuten von diesem Gemälde berichten,
dachte er und versuchte sich erneut seinem eigenen
Gemälde zu widmen.
Inzwischen arbeitete ich mit verschiedenen blaue, Grüne,
Alizarin und schwarzen Tönen, da sie sich alle gut
untereinander vermischen lassen. Aber vorwiegend
benutzte ich weiße Farbe, schließlich werden es Eisbären
und keine Braunbären. Es war eine Mutter mit drei
Bärenbabys, die sich wie kleine Kinder in den Gewässern
austobten.
Als die Ersten inzwischen nach Hause gingen, um ihre
Kinder von den Schulhorten und Kindergärten abzuholen,
war ich noch fleißig beim Auftragen meiner Farben. Einige
von ihnen sind ohne Mann. Sie fühlten sich trotzdem freier
in ihrer Entwicklung. Vollkommen vertieft in meiner
Arbeit vergaß ich Max anzurufen, schließlich wollte er mir
die stinkende U-Bahn ersparen. Dieser modrige Geruch
kommt jede Nacht durch die Betrunkenen und Junkies in
den Zug-Abteilen.
Die Reinigungskräfte der Bahn schafften es nie, sie richtig
zu säubern. Wahrscheinlich waren sie alle überfordert,
weil überall Arbeitskräfte eingespart wurden, nicht nur in
den Verlagen, sondern auch in allen anderen Institutionen.
Während ich noch über die U-Bahn nachdachte, passierte
Sylvia ein Missgeschick.
„Oh, oh, das sieht nicht gut aus.“
„Sorry, es tut mir so leid, mein Pinselglas fiel um.“
„So hattest du dir sicherlich die Eisbären nicht
vorgestellt.“
Sie hatten alle ein geschecktes Muster im Fell.
„Bitte, bitte verzeih mir.“
„Aber sieht doch gar nicht so schlecht aus, ein
geschecktes Fell wirkt interessanter als das einfarbige“,
meinte ein Klubmitglied.
„Der Zufall kann wirklich gute Werke schaffen.“
„Aber besonders gefallen mir die Kleinen mit dem rosa,
blauen und gelblichen Streifen im Fell.“
„Bist du mir nicht böse?“
„Warum? Es gefällt mir sogar.“
Es dauerte nicht lange, bis jeder sich das Bild ansah,
woraus ich schließen konnte, dass es allen besser gefiel als
vorher.
„Deine Farbmischung ist sehr beeindruckend, zusammen
mit deiner Farbe sind die Elemente traumhaft schön
geworden.“
Misstrauisch schaute ich gleich zu allen herüber, um die
Mimik in ihren Gesichtern zu entdecken, denn vielleicht
gefällt es doch nicht allen? Aber ich irrte mich, sie
strahlten übers ganze Gesicht und damit drückten sie aus,
dass es geschafft sei.
„Chloé“, kam die Stimme des Kurzleiters von hinten.
„Du könntest noch ein bisschen Weiß hinzufügen.“
Interessiert schaute ich auf meine
Weitere Kostenlose Bücher