Krieg der Sänger
Kirschen, Maronen, kleine Brotlaibe und Weinschläuche. Die
schwangere Landgräfin war über und über mit Essbarem beladen. Sie stand vor
ihnen wie die leibhaftige Demeter. »Deswegen komme ich.« Während sie unter den
Augen der Hungrigen begann, sich ihrer heimlichen Last zu entledigen, erklärte
sie weiter: »Was Ihr hier treibt, ist Wahnsinn. Aber es ist Eurer dennoch
unwürdig zu hungern.«
Die Speisen wurden verteilt und von zitternden Fingern empfangen.
Agnes nahm einen halben Laib Brot und eine Wurst und kehrte damit zurück auf
ihren Posten an der Treppe; dankbar, dem vorwurfsvollen Blick ihrer Herrin
entfliehen zu können.
»Und ich fresse einen Raben!«, versetzte Ofterdingen mit vollem
Mund. »Ganz ehrlich; ich war drauf und dran, den Darm von meiner Fiedel zu
kauen! Pfui Teufel! Wie klug von dir, Wolf, auf Besseres zu warten!«
»Ich hoffe, dass Ihr wieder vernünftig denken könnt, sobald Euer
Hunger gestillt ist«, sagte Sophia. »Wie Ihr hört, werden dort draußen neue
Sturmleitern und sogar ein Belagerungsturm gebaut, den Palas einzunehmen. Wenn
der Turm erst fertiggestellt ist, kann Euch nichts mehr retten. Also legt die
Waffen nieder. Hermann ist zwar aufgebracht, aber immer noch willens, Euch
allen mit Ausnahme von Heinrich Straferlass zu gewähren. Sein Angebot läuft am
Mittag aus. Danach will er nicht einmal Euch beide mehr schonen, Wolfram und
Biterolf.«
»Dann soll ich sterben?«, fragte Ofterdingen. »Unter Eurem Mantel
hatte ich noch das traute Gefühl, Hoheit, Ihr wolltet meinen Tod verhindern.«
»Das will ich noch immer, Heinrich. Aber es ist mir lieber, dass nur
Ihr sterbt, als dass Ihr sterbt und obendrein alle anderen. Es ist genug.« Sie
wies auf die Toten, die an der Südwand aufgebahrt lagen.
»Wo ist Konrad?«, fragte Ofterdingen. »Hat der Landgraf wenigstens
sein Wort gebrochen und ihn gevierteilt?«
»Nein. Konrad hat die Burg gestern auf seinem Esel verlassen.«
»Und Walther, die Schlange?«
»Walther hat sich in seinem Gemach verkrochen, empfängt keinen
Besuch und nimmt kaum einen Bissen mehr zu sich. Er ist der elendste Mensch auf
der Burg.«
»Ich vergehe vor Mitleid.«
Sophia wandte sich an Wolfram, der lustlos auf seinem Brot herumkaute.
»Sprecht mit mir. Bitte erlaubt, dass ich meinem Gemahl die Kunde von Eurer
Unterwerfung überbringe.«
Wolfram schluckte schweigend seinen Bissen, ohne aufzusehen.
»Herrgott, Wolfram!«
»Ich habe als Ritter gelebt. Ich werde als Ritter enden.«
Sophia sah den Eschenbacher lange an. »Wenn ich eine einfache Magd
wäre und keine Fürstin«, schnaubte sie, »ich würde zum Lohn für Euren
unerträglichen Eigensinn mit beiden Fäusten auf Euch einprügeln, bis meine
Kräfte versagen.« Sie sah sich in der schweigsamen Runde um. »Lasst wenigstens
Agnes gehen.«
»Sie will nicht«, murmelte Biterolf.
»Dann schlagt sie nieder und schafft sie heraus, beim Barmherzigen!«
Ofterdingen griff zu einem der beiden Weinschläuche und öffnete ihn.
Sophia von Thüringen war mit zwei Schritten bei ihm und riss ihm den Schlauch
aus den Händen, bevor ein Tropfen Wein seine Lippen berührt hatte. Entgeistert
stierte Ofterdingen sie an.
»Trinkt nicht davon«, erklärte sie, während sie den Schlauch wieder
verschloss. »Man hat blauen Eisenhut in den Wein gegeben. Es wäre ein
schmerzloser, aber schneller Tod. Der Wein, die Speisen: Es sollte so aussehen,
als würde ich euch heimlich versorgen. In Wirklichkeit wissen alle davon. Und
der Eisenhut sollte die Sache beenden, ohne dass ein weiterer Thüringer sterben
muss.«
Biterolf hielt im Kauen inne und erwog, den speichelnassen Klumpen
in seinem Mund auszuspucken. »Schluckt ruhig«, beteuerte Sophia. »Das Gift ist
nur im Wein.«
»Hermann von Thüringen übt sich in der Giftmischerei?«, zeterte
Wolfram und zerdrückte das Brot in seiner Faust.
»Es war ein Einfall Heinrichs von Weißensee.«
»Gleichviel!«, erwiderte Wolfram. »Nun wird er wohl hinnehmen
müssen, dass noch einige Eimer Thüringerblut vergossen werden, bis er unserer
habhaft wird! Den Krieg kann er haben!«
»Hussa, Wolfram«, sagte Ofterdingen und biss von einer Wurst ab.
Sophia suchte nach Worten, Wolfram doch noch zu bekehren, aber er
kam ihr zuvor. »Bitte geht jetzt, Euer Hoheit«, sagte er. »Wir müssen uns für
den nächsten Angriff rüsten.«
Weil er nicht im Zorn von der Landgräfin scheiden wollte, geleitete
Wolfram sie zurück zur Treppe. Kurz bevor sie aus dem Saal auf den Bogengang
und
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