Krieg der Sänger
zurück unter die Blicke der Belagerer traten, griff Wolfram in seine Tasche
und holte den Schlüssel hervor, mit dem er den Kerker im Südturm geöffnet
hatte. »Vielen Dank. Er hat uns sehr geholfen.«
»Nicht genug«, sagte Sophia. Sie nahm den Schlüssel, hielt Wolframs
Hand aber fest und betrachtete sie. Auf dem Handrücken war ein Schnitt bis auf
den Knochen. »Ihr seid verwundet.«
»Nicht schlimm«, sagte er und zog die Hand zurück. »Mein altes Blut
ist so dick, dass man mir noch so tiefe Wunden schlagen kann, ohne dass ich
auslaufe.«
»Falls Ihr fallen solltet, möchte ich nicht, dass Ihr als mein
Gläubiger sterbt.«
»Wovon redet Ihr?«
»Der Kuss, den ich Euch schulde. Vom Kampf um den Rosengarten.«
Wolfram lächelte unbeholfen und fuhr sich mit der Hand übers Kinn.
»Mein Bart kratzt noch immer, Euer Hoheit. Vielleicht mehr als zuvor.«
Sie blickte gekränkt drein. Er unterdrückte den Impuls, ihr eine
Hand auf den Arm oder an die Wange zu legen. »Ihr habt recht«, sagte er
schließlich. »Ich bin unerträglich. Und ich höre nicht auf, in Wort und Tat zu
enttäuschen.«
Sophia schüttelte den Kopf. »Nein. Du hast mich verärgert, verletzt
und verlassen. Aber enttäuscht – enttäuscht hast du nie. Gott schütze dich,
Wolfram. Der eine Trost bleibt mir: Solltest du fallen, wirst du mich, wenn du
aufgebahrt vor mir liegst, nicht länger zurückweisen können.«
Ohne ihn kehrte sie zur Brustwehr an der Treppe zurück, und ohne
Unterstützung kletterte sie – nachdem sie Agnes vergebens bekniet hatte, sie zu
begleiten – darüber hinweg, um ihrem Gemahl mitzuteilen, dass die Verteidiger
des Palas bis zum letzten Atemzug Widerstand leisten würden.
Keine Stunde später traf am Torhaus der Wartburg eine Gruppe von
drei Männern aus Eisenach ein: der ehemalige Gastwirt des Ofterdingers,
Heinrich Hellgreve, mit zwei Gefährten. Mit sich brachten sie ein Gnadengesuch
für Heinrich von Ofterdingen, das sie ihrem großmütigen Landesherrn demütigst
und untertänigst vorzulegen gedachten. Als Hermann, ohnehin missgelaunt durch
den Bericht seines Weibes, diese Kunde überbracht wurde, geriet er in eine
bislang unerreichte Rage. Er befahl, die drei Aufrührer für die bodenlose
Frechheit, das Urteil ihres Fürsten infrage zu stellen, unverzüglich aufs Rad
zu flechten und ihnen sämtliche Knochen zu brechen. Dann besann er sich eines
Besseren, griff nach seinem Schwert und eilte hinaus, den Bürgern gleich
eigenhändig den Kopf abzuschlagen.
Der tugendhafte Schreiber überholte den Landgrafen und versuchte,
rückwärtslaufend, ihn davon zu überzeugen, die Eisenacher zu verschonen; weder
sie noch der Ofterdinger seien die Aufregung wert. Hermann wies den Protest
seines Kanzlers ab und kündigte vielmehr an, nach der Hinrichtung der
Eisenacher Feuer an den Palas zu legen, um die aufsässigen Sänger auszuräuchern
und einzuäschern.
»Dieser Aufstand ist eh bald vorbei, Hoheit!«, widersprach der
Schreiber, als sie in die Vorburg traten. »Entweder wird Wolframs Truppe vom
Eisenhut vernichtet oder von unserer Ebenhöhe« – und hier wies er auf den
Belagerungsturm mit den riesenhaften Rädern, an dem die Knechte der Pfalz
zimmerten –, »es tut also gar nicht not, Euer prächtiges Haus niederzubrennen
oder die Eisenacher Bürgerschaft gegen Euch aufzubringen! Durum
patientia vincit! «
»Ich habe keine Geduld mehr!«, brüllte Hermann. »Morgen beginnt ein
neues Jahr; vorher will ich diesen verdammten Stachel im Fleisch herausgezogen
wissen!«
»Aber, gnädiger Herr, um Himmels willen nicht igne
atque ferro ! Am Ende greifen die Flammen auf den Rest der Burg über. Wir
suchen nach einem anderen Mittel. Etwas, gegen das auch Wolfram nicht ankommt.«
Hermann verlangsamte seine Schritte und ließ das Schwert sinken.
»Etwas, gegen das Wolfram nicht ankommt?«
»Exakt, Euer Hoheit.«
Beim Tor sah Hermann die Bürger aus Eisenach, die sein Kommen mit
einem blanken Schwert in der Hand bangen Blickes mitverfolgt hatten. Aber die
drei scherten ihn nicht mehr. »Sag Walther, ich erwarte ihn«, diktierte er.
»Walther?«
»Ins Badehaus soll er kommen. Er soll sehen, was sie angerichtet
haben.«
Während der Schreiber zu Walther eilte, durchquerte Hermann die Burg
zum Badehaus am anderen Ende. Hier, in der Wärme, waren die Verwundeten der
zurückliegenden Gefechte untergebracht; gut anderthalb Dutzend Thüringer mit
Schuss-, Stich- oder Schnittwunden, zerschmetterten oder fehlenden
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