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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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inzwischen hatte auch der Dümmste begriffen, was
der Ritter beabsichtigte. Schnell war der Singerknabe mit ausreichend Brot,
einer Birne und zwei dampfenden Stücken Pferdefleisch versehen.
    »Heiß und knusprig wie der heilige Laurentius«, verabschiedete ihn
Atze freundlich. »Sag Walther, er soll es sich schmecken lassen.«
    Die Gesellschaft wartete, bis Bertolt mit dem Spießbraten die Küche
und das Haus verlassen hatte und außer Hörweite war, und brach dann in
befreiendes Gelächter aus. Dass es Gerhard Atze gelungen war, dem Sänger sein
eigenes Ross vorzusetzen, war nun wirklich ein Kunstgriff sondergleichen.
Genüsslich malte man sich aus, wie Walther in seinem Gemach den vermeintlichen
Ochsen verspeiste, nichts ahnend, dass er dabei gerade auf dem geliebten Wesen
herumkaute, das er am Tag zuvor noch beweint hatte.
    Auf diese Weise war der Auftakt für alle Anwesenden gegeben, sich
über den Drei-Mark-Pferdebraten und die Suppe herzumachen, wobei Atze darauf bestand,
dass Ofterdingen als Erster erhielt, damit er auch als Erster wieder fertig war
mit dem Essen, um die Gesellschaft, wie er es Atze hatte versprechen müssen,
mit seinem Gesang zu unterhalten. Kaum hatte sich Ofterdingen also das letzte
Fett von den Fingern geleckt, da schlug er seinem Singerknaben den halb vollen
Teller aus der Hand und wies ihn an, die Fiedel zu stimmen.
    »Ein Lied auf den Rosengarten!«, rief er, sprang auf eine Tafel und
legte los.
    Das Lied war von einer Obszönität, die Biterolf den Atem raubte. Dem
Mann, der Deutschland das hehre Lied der Nibelungen geschenkt hatte, hätte er
Derartiges nie zugetraut. Es handelte nicht etwa vom Wormser Rosengarten oder
von dem auf der Wartburg, sondern von einer Dame, die eine Rosenwurzel ausgrub,
um sich mittels ihrer Befriedigung zu verschaffen. Als wäre das nicht genug,
brach danach Streit aus zwischen der Frau und – Biterolf wollte es gar nicht
glauben – ihrer Fut, die ihr vorwarf, sie zu vernachlässigen, worauf sich beide
trennten, um auf eigene Faust ihr Glück bei den Männern zu suchen. Beiden
erging es gleichermaßen übel, denn die Männer wollten keine Fut ohne Frau, noch
weniger aber eine Frau ohne Fut – weshalb die Dame zu Hammer und Nagel griff
und sich die Fut beim ersten Wiedersehen an den Unterleib schlug, um nie wieder
ohne zu sein.
    Ohne Atempause stimmte Ofterdingen das zweite Lied an, in dem eine
Magd nach einem Stiel für ihren kaputten Besen suchte – die Bilder waren
wirklich zum Davonrennen schlicht –, bis ein Knecht ihr gab, was sie benötigte.
So ging es ohne Unterlass weiter: unersättliche Damen und liebestolle Pfaffen,
Elfen beim Bade und tumbe Bauern mit unvorstellbarem Gemächt, ja selbst Hunde
und Huftiere und immer neue Umschreibungen des männlichen und des weiblichen
Geschlechts mit kaum genug Pausen dazwischen, dem Vortrag zu applaudieren.
Ofterdingen sang das Gegenteil von Minne. Dies war Un-Minne in ihrer reinsten
Form.
    Biterolf ertappte sich dabei, wie er mit seinem Becher den Takt auf
die Tischplatte schlug und mit den Füßen stampfte wie alle anderen. Er sparte
ebenso wenig an Zwischenrufen und Antworten auf die gesungenen Fragen, und er
sang den Refrain lauthals mit, sobald er sich ihm eingeprägt hatte. Meist
bestand er ohnehin nur aus Lalala oder Leileilei . Ofterdingens Vortrag war einfach zu mitreißend.
Das Gesinde tanzte ungezwungen zur Musik; in Pärchen, im Reigen, alleine. Einer
der Knechte lachte so heftig über die gesungenen Zoten, dass er sich ins Stroh
übergeben musste.
    Ofterdingen war mittlerweile schweißbedeckt, weil er sich nicht
damit begnügte, zu singen und zu fiedeln, sondern während der Lieder tanzte und
über die Tafeln lief, wobei er reihenweise die Becher umwarf und in die
Schüsseln der Essenden trat. Zwischen zwei Strophen entledigte er sich seines
Hemdes und machte mit nacktem Oberkörper weiter. Dadurch kam nun auch sein
Bauch zum Vorschein, der unschön über den Bund der Beinkleider quoll, selbst
seine Brust hing schon etwas in Falten, aber das schien außer Biterolf
niemandem aufzustoßen. Dann warf Ofterdingen Fiedel und Bogen seinem Singerknaben
zu, der sie mit knapper Not auffing, und nun musste Konrad ein Stück spielen,
während sein Herr vom Tisch sprang, eine Magd bei der Hand nahm und mit ihr in
der Mitte der Küche einen Tanz aufführte. Diverse Male rief Ofterdingen:
»Schneller!«, bis selbst Konrad, der seinen Herrn an Fingerfertigkeit übertraf,
an die Grenzen seiner Kunst gelangt

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