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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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war. Ofterdingen und seine Partnerin
schlugen einen Weinkrug und ein Fässchen Butter zu Boden und stürzten in die
Hände der Umsitzenden, womit der Tanz beendet war. Er dankte der Magd mit einem
Kuss und ließ sich in Atzes Lehnstuhl fallen. Irgendjemand reichte ihm einen
Becher, den er gierig leerte. Viel von dem Wein lief rechts und links am Mund
vorbei und mischte sich mit dem Schweiß auf seiner Brust.
    Der Sänger wurde bestürmt, weitere Lieder zu singen, aber er schlug
die Bitten ab: Zu sehr habe er sich verausgabt, sagte er, während er sich
Oberkörper und Gesicht mit einem Tuch trocken rieb, seine Zunge hinke vom
vielen Wein und er habe sich die Pause wahrlich verdient. Er ließ seinen Blick
durch den Raum streifen, bis er Biterolf gefunden hatte.
    »Der da soll euch etwas spielen«, rief er, indem er auf Biterolf
zeigte. »Er ist schließlich auch ein Sänger, und ich bin mir sicher, er steht
mir in nichts nach. Konrad, gib ihm die Fiedel.«
    Ehe Biterolf protestieren konnte, hatte ihm Konrad das Instrument
überreicht. Aller Augen waren nun auf ihn gerichtet. Einige der Anwesenden
klatschten schon jetzt in die Hände. Biterolf ging in Windeseile sein Repertoire
an Liedern durch, aber das einzig vulgäre Stück, das er kannte, Der Rübenbauer und der Pfaffe , hatte Ofterdingen bereits
gegeben.
    »Ich fürchte, meine Lieder könnten euch enttäuschen«, räumte er ein.
»Sie sind nicht so … lustig.«
    »Nur nicht so bescheiden!«, versetzte Ofterdingen.
    »Sing!«, rief von irgendwo ein Mann, und einige weitere stimmten in
den Ruf ein.
    Biterolf hatte keine Wahl. Die Rufe verstummten, als er auf die
Tafel stieg wie vor ihm Heinrich von Ofterdingen. Dies war kein Singen auf
Leben und Tod, und dennoch kam es ihm so vor. Er wollte alles in die Waagschale
werfen. Er musste gleich das beste seiner Lieder singen. Er spürte, dass er nur
diesen einen Versuch hatte, das Gesinde für sich einzunehmen. Er räusperte
sich. Agnes, die nahe beim Herd den Kopf eines blonden Mädchens lauste, blickte
auf.
    »Dies Lied ist etwas ruhiger«, erklärte er.
    Dann setzte er den Bogen an die Saiten von Heinrich von Ofterdingens
Fiedel. Von der ersten Note an gab sich Biterolf äußerste Mühe, im Spiel und im
Gesang so präzise und so gefühlvoll wie möglich zu sein, und das Kunststück
gelang. Ich zog durch einen Wald im Frühling sang er,
jenes Lied, das auch im Sängerwettstreit sein erstes werden sollte. Eine Frau
streift im Lenz durch einen Wald – so ging das Lied –, und überall um sie herum
schießen Gräser und Blumen aus dem Boden, und den Bäumen wächst wieder das
grüne Fleisch auf den nackten Rippen, und wo immer sich Schnee in dunklen
Winkeln verkrochen hat, die letzten Stacheln des verhassten Winters, da findet
und vertilgt ihn jetzt die Sonne. Und die Vögel, Allmächtiger, die Vögel! Wie
herrlich ihr Loblied auf den Schöpfer und das Leben klingt! Doch die Frau ist
taub für diesen Choral und blind für das Leben. Ihr Herz ist Eis, seit sie
ihren Liebsten verloren hat, und keine Sonne ist stark genug, dies Eis zu
tauen. Je schöner und fröhlicher die Welt um sie herum wird, desto stärker
brennt ihr Schmerz.
     
    Wärst du noch hier und Winter kalt,
    Ohn Vögel, Blumen, Sonne,
    Das tauscht ich, Herrgott weiß, alsbald
    Für jedes Frühlings Wonne.
     
    Vielleicht war es auch nur der Wein, aber Biterolf hatte das
Gefühl, nie so gut gewesen zu sein.
    Seiner Zuhörer freilich schienen nicht so ausnahmslos begeistert zu
sein. Gespräche und Würfelspiele setzten wieder ein. Einige nutzten seinen Vortrag,
um auszutreten oder sich einen Nachschlag vom Pferdebraten zu holen. Hinter
einer der Säulen begannen zwei Mägde einen Streit. Einige Kinder machten Jagd
auf ein Huhn. Ein Greis war mehr mit dem beschäftigt, was er mit einem
Fingernagel aus seiner Nase gezogen hatte, als mit Biterolfs Lied. Und Agnes
hatte die Küche unbemerkt verlassen. Aber zumindest ein Paar nahm das ruhige
Lied zum Anlass, einander zu küssen. Und Ofterdingen in seinem Sessel war
aufmerksam. Er lächelte über das ganze Gesicht.
    Biterolfs letzter Vers war kaum gesungen – der vergebliche Wunsch
der Frau, ihr Liebster möge eines Tages wiederkommen –, da brüllte Atze: »Ja,
zum Teufel, wann kommt er denn endlich wieder?«, und
dem folgte Gelächter und Applaus. Biterolf war sich unsicher, wie viel davon er
auf sich beziehen sollte. Er stieg vom Tisch und gab Konrad die Fiedel zurück.
Er musste an die frische Luft. Er

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