Krieg der Sänger
brauchte dringend etwas Abkühlung, Geister
oder nicht. Niemand hielt ihn auf, als er die Küche verließ.
Biterolf überquerte den Burghof zum Rosengarten und pisste dort
gegen die Mauer. Über ihm, vom Wehrgang, vernahm er zwei Stimmen, eine davon
seltsam schräg und abgehackt, wie die eines Komödianten, der einen Zwerg oder
ein Fabelwesen spricht. Biterolf stieg die Treppen hinauf, um nachzusehen.
Bei den Zinnen stand – dank des Turbans unverkennbar selbst im
Dunkeln – Ofterdingens Pullane. So einen Anblick mussten die Verteidiger auf
den Zinnen von Akkon und Jerusalem geboten haben. Nur die Wärme fehlte und der
Sternenhimmel, für den die Kreuzfahrer Palästina so oft rühmten.
Rupert fasste Biterolf scharf ins Auge, als dieser auf den Wehrgang
trat, doch sobald er ihn erkannt hatte, löste sich seine Spannung. »Kommt«,
sagte er und winkte Biterolf heran. Auf dem Leder seines Handschuhs saß der Rabe,
den Biterolf zuletzt bei Ofterdingens Einzug gesehen hatte. In der anderen Hand
hielt Rupert ein Stück Brot, von dem der Vogel fraß.
»Mit wem hast du gesprochen?«, fragte Biterolf.
Rupert lächelte und strich mit einem Finger über die Kehle des
Raben. »Mörder! Mörder!«, krächzte dieser darauf. »Deus
vult!«
»Gelobt sei Jesus Christus«, sprach Rupert, worauf der Rabe
erwiderte: »In Ewigkeit, Amen.«
»Heilige Mutter Gottes«, versetzte Biterolf.
»Benedictus Dominus Deus Israel« , sagte
der Rabe. »Hol dich der Teufel!«
»Wer immer ihm ein neues Wort beibringt: Es sind entweder Flüche
oder Gebete«, erklärte Rupert.
»Er spricht!«
»Hier in Thüringen gibt es offenbar niemanden, der je einen Vogel
hat sprechen hören. Es ist keine Hexerei. Man muss ihnen die Wörter nur oft
genug vorsagen.« Er strich dem Vogel mit einem Finger über die Kehle. »Wenn
diese Bauern hier wüssten, dass ich einen schwarzen Raben habe, der mit
Menschenzunge sprechen kann, würden sie mich und den Vogel vermutlich gemeinsam
verbrennen. Deswegen treffen wir uns nachts, wenn ich gewiss sein kann, dass
sie sich aus Furcht vor ihrem merkwürdigen Geisterheer in den Kammern
verkrochen haben.«
»Du magst sie nicht.«
»Und sie hassen mich. Da rotten sie sich ums Herdfeuer zusammen, die
Männer schmutzstarrend, die Frauen schamlos, fressen Pferd und trinken Wein,
der schmeckt, als hätten ungewaschene Füße unreife Früchte gestampft, wälzen
sich im Stroh wie das Tier und grölen dabei unzüchtige Lieder, nur um sich am
nächsten Morgen für ihr rohes Vergnügen vor Gott anzuklagen. Und dieser
Gestank, Jesus Christus!«
»In Ewigkeit, Amen«, krächzte der Rabe mit einer Stimme, die der des
Pullanen nicht unähnlich war.
»Warum bist du dann nicht in deiner Stube?«
»Weil Heinrich meine Gegenwart wünscht. So gering ich sein Volk
achte, so hoch achte ich diesen Mann. Sonst wäre ich längst zurück in
Palästina.« Rupert warf den Rest des Brotes in die Luft. Augenblicklich flog
der Rabe auf, schnappte den Kanten im Flug und verzog sich damit auf seinen
Platz auf dem Bergfried. »Wie überlebt man diese Eiseskälte?«, fragte Rupert.
»Es ist, als würden sie alle freiwillig in der Vorhölle leben.«
Es war in der Tat unerträglich kalt. Gemeinsam gingen sie zurück zum
Palas. Ihre Schritte knirschten im gefrorenen Schnee. Hoch über ihnen war zwischen
den Wartburgkrähen und Ruperts Raben ein Kampf um das Brot ausgebrochen.
Vor dem Palas kam ihnen Agnes entgegen. »Hier seid Ihr«, sagte sie.
»Du hast mich gesucht?«
»Ich wollte Euch für Euer Lied danken.« Sie wartete, bis der Pullane
weitergegangen war, bevor sie weitersprach. »Ein Lied von Verlust und Trauer
war ganz sicherlich nicht das, was das Gesinde wollte. Nachdem es eine Stunde
lang nur auf Löcher und Stecken und nackte Pfaffenhintern eingestimmt worden
war. Aber mich hat es sehr gerührt.«
»Das freut mich.«
»Der Mann, um den sie weint … ist gestorben?«
»Ja. So habe ich es mir zumindest vorgestellt. Er ist aus dem Krieg
nicht zurückgekommen oder etwas in der Art. Einerlei.«
Sie nickte.
»Maria hilf«, sagte Biterolf und schlug sich gegen die Stirn, »ich
habe schon wieder mitten in die Wunde gelangt. Dein Mann ist so gestorben! Die
Landgräfin hat es mir gesagt. Ich hatte es vergessen. In der Belagerung von …«
»Weißensee. Philipp von Schwaben hat Weißensee belagert. Da bekam er
einen Bolzen in die Brust geschossen. Eine Woche drauf starb er am Wundbrand.
Aber Ihr müsst Euch nicht
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