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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Handvoll
Schnee in den Kragen stopfte. Denn jedem anderen hätte er für diese Frechheit
den Kopf abgeschlagen.«
    Biterolf dankte Gott dafür, dass seine Finger heil geblieben
waren. Nach dem Bad griff er zur Fiedel und breitete die Texte seiner Lieder
vor sich aus, wiewohl er sie ohnehin alle im Kopf hatte. Eines nach dem anderen
stimmte er an und war zufrieden mit dem Ergebnis. Dann traf er eine Auswahl
seiner besten Gesänge – zwei Klagelieder, ein Werbelied und eine Pastourelle –;
jene vier Stücke, auf die er besonders stolz war und für die man ihm in seiner
Heimat das meiste Lob gezollt hatte. Als er sich an seine letzten Auftritte im
Hennebergischen erinnerte, an den Applaus und die Jubelrufe, fiel es ihm mit
einem Mal schwer, noch an eine Niederlage im Sängerstreit zu glauben. Der
Schreiber hatte nicht umsonst gesagt, Biterolf von Stillaha würde zu den ersten
Dichtern Thüringens zählen. Zufrieden legte er sein Instrument beiseite, um
Agnes’ Einladung zu folgen.
    Die Luft war ähnlich dick wie am Nachmittag im Badehaus, aber sie
roch nicht nach Kalk, Seife und feuchtem Holz, sondern nach Rauch, verbranntem
Fett und gewürztem Wein – und, hier wie dort, nach Schweiß. Als Biterolf aus
der dunklen, lautlosen Kälte in die Küche trat, erinnerte ihn der Anblick des Gedränges
an Darstellungen des Fegefeuers, mit dem wesentlichen Unterschied, dass die
Sünder hier heiterere Mienen hatten. Flammen und leicht Bekleidete gab es aber
fast ebenso viele. Zwei rote Hähne, deren Schrei bekanntlich die Dämonen
fernhielt, liefen im Stroh umher und mieden die Nähe der Hunde. Biterolf wurde
neugierig beäugt, bis sich Agnes seiner annahm und ihm einen Becher und eine
Pastete besorgte. Sobald die Feuer und der Wein sein Blut erhitzt hatten,
spürte er die Wunde auf seiner Stirn pochen.
    Er war der Einzige von Stand unter all den Knechten und Mägden, und
daher atmete er auf, als Gerhard Atze Einzug hielt, Heinrich von Ofterdingen an
seiner Seite. Offenbar hatten sich die Männer seit ihrem Zweikampf nicht
getrennt. In Ofterdingens Gefolge kamen sein orientalischer Knappe und sein
Singerknabe Konrad. Beiden schien die Teilnahme an der Feier gleichermaßen
unlieb.
    »Fleisch!«, donnerte Ritter Gerhard, als er auf einem Lehnstuhl
Platz nahm, der sich unter den niedrigen Bänken und Schemeln wie ein Thron
ausnahm. »Ich könnte ein Pferd verputzen!« Als das Gelächter verklungen war,
wandte er sich an Ofterdingen: »Wir machen es wie unsere Vorväter, he!, und
nehmen Wodans Geist mit dem Pferdefleisch in uns auf! Wo ist Rüdiger, mein
getreuer Meistermetzger?«
    Die Rippenbögen des Pferdes brieten über dem Feuer, derweil ein
Junge beständig den Spieß drehte, damit das Fett nicht ins Feuer tropfte; aus
einem Kessel über einem zweiten Herd schauten die Vorderbeine heraus, deren
Fleisch sich allmählich von den Knochen löste, und in einem Korb lagen die
Pferdeblutwürste zum Verzehr bereit – aber Rüdiger war nirgends zu finden. Atze
ließ nach ihm schicken, aber der Bursche kehrte allein zurück. Der Fleischhauer
war am Morgen in den Wald gezogen, hieß es, um Buchenholz für das Räuchern des
Pferdehinterns zu schlagen, und seitdem hatte ihn niemand mehr auf der Burg
gesehen. Die Wache am Tor habe bestätigt, dass er nicht zurückgekommen war.
Rüdiger war also da draußen.
    Jetzt noch nach ihm zu suchen wäre Irrsinn gewesen: Dunkelheit,
Kälte, Wölfe und das Geisterheer der Zwölften lauerten jenseits der Burgmauern.
Rüdiger war verloren. Gewiss war er längst dem Heer der Wütenden begegnet,
hatte sich nicht rechtzeitig zu Boden geworfen und den Blick abgewendet, hatte
vor lauter Entsetzen die Schutzformeln nicht erinnert und war von der unerbittlichen
Frau Hulde mitgezogen worden, auf ewig ihre Legion der untoten Seelen zu
begleiten. Lamentationen um Rüdiger, Mutmaßungen und Gebete erfüllten die
Küche. Jeder hatte schon einmal von jemandem gehört, der dem Spuk um
Haaresbreite entronnen war, oft mit einem leidigen Andenken wie geschwollenen
Gliedern, faulen Zähnen oder trüben Augen. Das Küchengesinde wurde um Wacholder
angebettelt.
    Ohne dass jemand sie darum gebeten hätte, trat das greise Hühnerweib
in die Mitte des Raumes und begann, eine Geschichte zu erzählen, die offensichtlich
jeder der Burgbewohner kannte und trotzdem zu hören wünschte: jenes Erlebnis
des Landgrafen mit den Geistern der Weihnachtstage. Denn als Hermann noch
Pfalzgraf war – berichtete sie – und sein Bruder,

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