Krieg der Sänger
der Küche war ein
Reif Lorbeerblätter gebracht worden, doch auch Meister Stempfel trat aus einer
Nische hervor und neben den Thron. Der Verlierer würde ihn und den Kaplan auf
den Hof begleiten, dort ein letztes Gebet sprechen und dann den Hals
durchtrennt bekommen.
Milde lächelnd trat Reinmar von Hagenau vor, dankte den Sängern für
ihre vielfältigen Beiträge; für die Kunst, mit Wörtern und Klängen Zeit, Kälte
und das Leid der Welt für Stunden vollkommen vergessen zu machen. Für ihn,
Reinmar, sei dieses Ereignis eines der außergewöhnlichsten seines langen
Lebens, und er sei dankbar, jetzt, im Herbst seiner Tage, noch einmal Teil
eines solchen Spektakels zu werden. Je länger er sprach, desto unerträglicher
wurde es für Sänger und Zuschauer, die doch vornehmlich sein Urteil hören
wollten.
»Es ist mir beileibe nicht leichtgefallen, eine Entscheidung zu
treffen«, sprach Reinmar schließlich, indem er unter die Sänger trat. »Aber sie
muss getroffen werden. Meine Wahl fällt auf dich, Walther.«
»Du Hundskerl!«, schoss es aus Walther hervor. »Das wagst du nicht!«
Doch einen Wimpernschlag später hatte er begriffen, dass er Reinmar gründlich
missverstanden hatte; dass dieser ihn nicht zum Verlierer, sondern zum Sieger
des Wettstreits gekürt hatte. Walthers giftige Miene verwandelte sich darüber,
dass sein alter Rivale ausgerechnet ihn gewählt
hatte, in die außerordentlichen Erstaunens.
Reinmar hatte Walthers wüsten Ausbruch geflissentlich überhört.
Während er sich von Klara den Lorbeerkranz anreichen ließ, erhob sich im Saal
nun der Jubel derer, die Walther den Sieg gönnten. Hermann und Sophia von
Thüringen erhoben sich von ihren Thronen, um dem Sängerkönig zu gratulieren.
Reinmar hielt den Kranz in die Luft, und Walther musste die blinden, welken
Hände mit dem Siegerkranz auf sein Haupt führen.
»Und nun deine traurige Pflicht, Reinmar«, sagte der Landgraf. »Wen
von diesen vieren trifft das harte Los? Wer wird durch das Schwert des
Scharfrichters sterben?«
Gegrüßet seist du, gnadenreiche Maria,
hochgelobte süße Herrin, Königin der Engel , der Herr
ist mit dir, begann Biterolf. Heilige Maria, reine
Frau, bete für mich armen Sünder jetzt und in der Stunde meines Todes.
Bevor Biterolf das Amen erreicht hatte,
antwortete Reinmar: »Heinrich von Ofterdingen.«
Die anschließende Sprachlosigkeit war allgemein. Man sah abwechselnd
von Reinmar zu Ofterdingen. Der Verurteilte fand als Erstes wieder zu Worten.
»Das ist ein Irrtum«, sagte Ofterdingen.
»Es tut mir leid, Heinrich«, entgegnete Reinmar. »Ihr habt mir
dieses Richteramt aufgebürdet.«
»Das muss ein Irrtum sein.«
»Von allen Gedichten war deines das schwächste.«
»Das schwächste ?! Hast du mir überhaupt
zugehört? Bist du am Ende auch noch taub geworden?«
»Ich habe dir zugehört, Heinrich. Es ging ja lang genug. Aber die
Länge deines Vortrags und die Intensität konnten nicht darüber hinwegtäuschen,
dass ich, verzeih mir, dein Lied schwächer fand als die anderen.«
»Das ist eine Lüge!«, donnerte Ofterdingen und wies auf die
versammelten Ritter. »Dass dein Urteil grundfalsch ist, können diese Schöffen
bezeugen! Frag jeden Einzelnen von ihnen!« Unter den Rittern machte sich nun
tatsächlich der Unmut über das Urteil Luft. Ofterdingen war ihr Favorit
gewesen.
»Ich fälle das Urteil, nicht meine Beisitzer«, beharrte Reinmar.
»Den Jungen wollt ihr«, sagte Ofterdingen und zog Biterolf am Mantel
aus der Reihe. »Er wird, wenn er die Ehre im Leib hat, zugeben, dass sein Lied
das schlechteste war! – Sag mir, Freund: Welches war das schlechteste Lied? Wer
ist der schlechteste Sänger? Bin ich es?«
»Nein.«
»Denn du warst viel schlechter als ich, habe ich recht?«
»Ja«, antwortete Biterolf, verwundert darüber, wie wenig Gewalt er
im Angesicht des Todes über die Wahrheit hatte. »Ich denke schon.«
»Da habt ihr’s! Schluss mit dem Mummenschanz und ihn aufs Schafott!«
»Mein Urteil steht, Heinrich«, sagte Reinmar kopfschüttelnd. »Habe du
die Größe, es anzunehmen.«
»Wenn du wirklich so starrsinnig auf deiner Ansicht bestehst, musst
du mir wenigstens Gründe dafür nennen.«
Jetzt griff der Landgraf in das Zwiegespräch ein. »Wohin soll das
führen? Heinrich von Ofterdingen, deine Furcht vor dem Richtschwert ist
unmännlich!«
»Wer redet denn von Furcht, Euer Hoheit!«, versetzte Ofterdingen.
»Unmännlich ist es vielmehr, Unrecht hinzunehmen und seiner
Weitere Kostenlose Bücher