Krieg der Sänger
er, Wolfram, Verslein für
Verslein zu diesem gewaltigen Epos zusammengesetzt.
Wie schon in seiner Predigt während der Christmette demonstrierte
Wolfram eine Bescheidenheit, die an Koketterie grenzte: dass er als Laie – als
grobschlächtiger, ja kaum des Lesens mächtiger Kriegsmann, dessen eigentliches
Amt das Waffenhandwerk war – im Grunde nicht würdig sei, sich eines Stoffes
über Erlösung und die mächtigste Reliquie der Christenheit anzunehmen. Demütigst
präsentiere er den Herren und Damen dennoch einige Passagen aus seinem
Ritterepos. Mit seiner Verbeugung erklangen bereits die ersten Töne von Johanns
Fiedel.
Wolfram erzählte von Parzivals Ankunft auf der rätselhaften
Gralsburg Monsalvat, von Parzivals Versagen in Gegenwart des heiligen Grals,
von seiner Verdammung, seinen Wanderjahren, seinem Abfall von Gott, von seiner
Buße und seiner Läuterung und endlich von seiner Rückkehr auf die Gralsburg –
nun nicht länger als törichter, tadelhafter Ritter, sondern als neuer König des
Grals.
Parzivals Lebensreise rührte jedermann; selbst jene, die Wolframs
Lied schon gelesen oder gehört hatten. Die Damen waren vorbereitet. Jede von
ihnen hatte ein Tüchlein dabei, die Tränen aufzunehmen, die bei Parzivals
Sündenfall, spätestens aber beim versöhnlichen Ende liefen. Die Landgräfin
schluchzte und fasste sich erst durch einen ermahnenden Blick ihres Gemahls
wieder.
Was Wolframs wilde Mär jedoch einzigartig machte, waren die
ironischen Verse, die originellen Bilder und die drolligen Namen – von Wolfram
trocken und ohne Augenzwinkern vorgetragen, aber kommentiert von der Fiedel
seines Singerknaben, die bisweilen wie eine menschliche Stimme lachte, seufzte
und zeterte. Dieser Witz trug ein Licht selbst in die finstersten Abschnitte
der Geschichte, sodass man sich oft lachend die Tränen aus den Augenwinkeln
wischte.
Nach einer allseits geforderten Pause war die Reihe an Heinrich
von Ofterdingen, dem Letzten der Wettstreiter. Auch er überließ seinem
Singerknaben die Fiedel, und auch er ließ es sich nicht nehmen, wortreich in
seinen Beitrag einzuführen. Er bat um Verzeihung, nur aus einem unfertigen Werk
singen zu können: Seine Dichtung von den Nibelungen sei bislang nicht weiter
gediehen als bis zum Mord an Siegfried, und dementsprechend sei es auch dieses
Ereignis, das seinen heutigen Vortrag beschließen würde.
»Anders als Wolfram singe ich bedauerlicherweise nicht von
Versöhnung und Erlösung, sondern von Blut und Rache«, sagte Ofterdingen, »nicht
vom Blut des Heilands, sondern vom Blut eines Drachens, und nicht von einem
heiligen Gefäß, an dem die Menschheit genest, sondern von einem unheiligen
Goldhort und davon, wie er Männer und Frauen gleichermaßen verlockt und
verdirbt. – Auch ich habe die Geschichte, wie Wolfram, bei anderen geklaut,
freilich nicht bei einem Franzosen, sondern beim deutschen Volk, das sich diese
alten Mären seit Ewigkeiten in immer wechselnden Variationen erzählt.« An
Wolfram gewandt, fuhr er fort: »Und wenn mein guter Freund Wolfram erlaubt,
mich seines Bildes zu bedienen, habe auch ich die Sage wie ein Meisterschmied
zusammengesetzt: Die unzähligen Späne gab ich hungrigen Gänsen zu fressen, in
ihrem Magen ward das Erz gehärtet, und aus ihrem Kot schmolz ich das Eisen, um
daraus dies eherne Lied zu schmieden.«
Wolfram verdrehte die Augen. Der tugendhafte Schreiber schüttelte
den Kopf, einmal mehr verblüfft von Heinrich von Ofterdingens
Geschmacklosigkeit. Nur Reinmar konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Hermann räusperte sich, um wortlos zu bedeuten, dass er mehr von den Nibelungen
erfahren wollte und nichts mehr von Vogeldreck.
Ausgehend vom Streit von Brunhild und Kriemhild, sang Ofterdingen
nun vom wachsenden Hass der hochmütigen Königinnen; von Brunhilds Wunsch,
Siegfried zu töten – der vom treuen Hagen vorangetrieben und vom habgierigen
König Gunther gebilligt wird –; von Kriemhilds Fehler, Hagen die einzige Stelle
zu nennen, an der Siegfried verwundbar ist, und von ihren prophetischen
Träumen; vom Speer, der Siegfried hinterrücks durchbohrt, und davon, wie Hagen
den Goldhort im Rhein versenkt.
Schon seit fünf Tagen, seit Sankt Thomas, war der Himmel über dem
Thüringer Wald ununterbrochen bedeckt gewesen, aber jetzt schien es, als würden
die Wolken noch einmal finsterer, als wollte die Nacht schon mittags
hereinbrechen. Anders als Wolfram, der das Leiden seiner Figuren erträglich
gemacht hatte durch Humor,
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