Krieg der Sänger
das er kurz nach seiner Ankunft auf
der Wartburg geschrieben habe und das einen ihrer Bewohner unsterblich zu
machen gedenke; nein, um den hochverehrten Landgrafen handele es sich dieses
Mal nicht. »Es heißt: Herr Atze hat mein Pferd erschossen «,
sagte er, ohne auch nur einen Seitenblick an den Protagonisten des Liedes zu
verschwenden.
Der Spottgesang folgte mehr oder weniger der absurden Beweisführung
des Ritters, der versucht hatte, den Pferden Walthers und Wolframs ein
Verwandtschaftsverhältnis zu unterstellen, um die Schuld von sich zu weisen.
Das Stück war so kurz wie pointiert, und am Ende brachen selbst Atzes Anhänger
in Gelächter aus und verlangten mehr davon. Der Unterlegene lief einmal mehr
feuerrot an. Ein waffenloser Musikant hatte ihn besiegt und der Lächerlichkeit
preisgegeben.
Gen Abend stand Biterolf auf dem Wehrgang nahe der Kapelle, bis
seine Haut von der Kälte taub geworden war. Er hatte sich einen Schlauch
starken Weins besorgt und ihn bis auf wenige Schlucke geleert. Dietrich war
nicht wieder aufgetaucht, und wenn die Wilde Jagd entschied, in der kommenden
Nacht ihn, Biterolf, mit sich zu nehmen, sollte es ihm nur recht sein.
Vielleicht brauchten die heulenden Heerscharen noch einen Fiedler. Agnes hätte
er gerne noch einmal gesehen, denn sie war nicht im Festsaal gewesen, aber von
all denen, die seine Alexandreis gehört hatten,
wollte er niemandem mehr begegnen. Jeder, der ihn danach angesehen hatte,
selbst Klara, hatte es entweder mit einem Ausdruck kaum verhohlenen Mitleids
getan oder den Blick schnell abgewandt.
Lediglich Heinrich von Ofterdingen hatte ihm lachend auf die
Schulter geschlagen und gefragt, was ihn denn geritten habe, ein so
vertrocknetes antikes Trumm zu geben.
»Der Schreiber hat mich in dem Entschluss bestärkt«, hatte Biterolf
konsterniert geantwortet.
»Das kann ich mir vorstellen! Aber meinst du nicht, ein paar kleine
Lieder über die Liebe wären bekömmlicher gewesen?«
»Davon habt Ihr mir doch ausdrücklich abgeraten!«
»Ich? Das wäre mir neu. Wann sollte ich das getan haben?«
»Beim Fest in der Küche! Ihr habt gesagt, mein Mailied tauge nur für
die Dorflinde, nicht für den Palas!«
»Ach, das. Aber am Ende lassen sich die Menschen doch von derart
einfältigen Liedchen, solange sie nur wahrhaftig sind, durchaus rühren. Allemal
mehr als von solch einem historischen Konvolut, das einem schneehäuptigen
Akademiker besser zu Gesicht stünde als einem jungen Kerl wie dir. Ich
zumindest hätte dein Mailied gern noch einmal gehört.«
Und mit diesen Worten hatte der Ofterdinger ihn stehen gelassen, um
Walther, der das Lob nicht hören wollte, zu seinem Spottlied auf den
Pferdemörder zu gratulieren.
Das Wilde Heer kam nicht. Biterolf leerte den Weinschlauch,
schleuderte ihn über die Mauer ins dunkle Nichts und erwog einen Augenblick
hinterherzuspringen. Dann ging er in seine Kammer. Er träumte von Drachen, von
Heinrich von Ofterdingen und von einem Kentaur mit dem Oberkörper Gerhard
Atzes.
26 . DEZEMBER
SANKT STEPHAN
Der Stephanstag sollte den Thüringer Adel aus der
Finsternis tiefer Drachenhöhlen bis auf lichtdurchflutete Höhenburgen führen.
Der Zweikampf zwischen Ofterdingen und Wolfram, zwischen Nibelungen- und
Gralssage, war gleichermaßen ein Kampf zwischen Leib und Seele, zwischen Kraft
und Geist, zwischen alten und neuen Göttern; ein Widerstreit zweier Pole, dem
rauen Norden und dem lieblichen Süden, die zwischen sich eine ganze Welt
halten. Der Kampf war nicht zuletzt auch ein Kampf ihrer Helden Siegfried und
Parzival. Doch wenn der unverwundbare Siegfried auf den unüberwindbaren
Parzival traf, konnte es da überhaupt einen Verlierer geben?
Wolfram schickte – während sein Singerknabe Johann die Fiedel
stimmte, die er auch spielen würde, damit sein Herr sich ganz auf den Gesang
konzentrieren konnte – seinem Vortrag eine kurze Rede voraus, in der er dem
Landgrafen dankte für seinen Beitrag zur Entstehung des nun folgenden Parzival . Er sprach von der Genese seines Werkes; wie er
den ursprünglichen Roman aus der Feder eines Franzosen entdeckt und nach
Deutschland gebracht habe, wie er die fränkische in deutsche Währung gewechselt
habe und wie er die unvollständige, ungeschliffene Dichtung erweitert und
veredelt habe, bis das Ergebnis nur noch wenig mit der Vorlage gemein hatte.
Dabei bemühte er das Bild eines Waffenschmiedes, der Ring für Ring in beschwerlicher
Arbeit zu einem Kettenhemd knüpft: Gleichsam habe
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