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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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versagte Heinrich von Ofterdingen seinem Publikum
derlei Entspannung: Die Dunkelheit der Nibelungen war vollkommen. Liebe und
Barmherzigkeit suchte man vergebens. Gott wurde nur angerufen, um bei seinem
Namen zu fluchen, Priester waren bloß Männer in Ornat und Kirchen Gebäude aus
Stein. Ofterdingens Figuren handelten so unerträglich und so unchristlich, dass
man keiner von ihnen Mitleid entgegenbringen konnte.
    Wolfram hatte seine Helden mit milder Distanz beschrieben und durch
die Geschichte bewegt wie ein Schachspieler seine Figuren, Ofterdingen hingegen war jeder seiner Könige, Damen und Ritter: Er
schlüpfte von Vers zu Vers unter eine andere Tarnkappe; war mal der gutgläubige
Siegfried, mal der pragmatische Hagen und mal der verzagte Gunther; konnte
leichtfüßig sogar das Geschlecht wechseln und den Kummer und die Gehässigkeit
der Königinnen glaubhaft darstellen. Er gab seinen Figuren Stimme, Mimik und
Haltung, streckte die Fäuste gen Himmel, sank nieder auf die Knie, schritt
singend auf und ab und umrundete unzählige Male Konrad, der unermüdlich
fiedelnd in der Mitte saß. Im Dunkel, das trotz der Kerzen den Festsaal
verschleierte, wurden die Züge von Ofterdingens eigenem Gesicht immer
undeutlicher, und die Nibelungen und Burgunder hielten in dieser einen Person
leibhaftig Einzug im Saal. Die gelben Kaminfeuer über der roten Glut waren
flüchtiges Gold auf einem Bett von Blut.
    Ofterdingens harte Sprache war in keiner Weise um Schönheit bemüht
wie Wolframs höfische Rhetorik, sondern geschrieben wie gesprochen. Oft waren
seine Dialoge mehr Sprache als Gesang. Er scherte sich auch nicht um die
Weisung, die Dauer des Vortrags auf ein vernünftiges Maß zu beschränken. Sein
Lied dauerte ewig, und er schonte dabei weder seine Zuhörer noch sich selbst.
Schweiß troff ihm von der Stirn. Seine Stimme wurde zusehends rauer, seine
Bewegungen matter. Als Siegfried nach langem Todeskampf niedersank, glaubte man
für einen Augenblick, auch er, Ofterdingen, würde sich nicht wieder von den
Dielen des Saals erheben.
    Diese Nibelungen waren unerhört. Die Ritterschaft, deren Interesse
an Literatur, in der Feen und Heilige die Hauptrollen spielten, sich gemeinhin
in Grenzen hielt, war gebannt. Dies war kein Lied darüber, wie die Welt sein
sollte, sondern darüber, wie sie war: verdorben, sündhaft, unerbittlich. Den
Damen war es, als würde das Lied jede Einzelne ihres Geschlechts beleidigen, ja
regelrecht vergewaltigen: Während im Parzival alle
Frauen herzensgut gewesen waren, selbst die Hässlichen, waren sie in
Ofterdingens Epos ebenso ruchlos wie die Männer, wo nicht ruchloser: So hübsch,
wie Kriemhild war, so hasserfüllt war sie auch. Die empörte Landgräfin hatte im
Lauf der Geschichte versucht, ihre Tochter aus dem Saal zu schicken, aber
Irmgard hatte sich dagegen verwahrt: Sie hing an Ofterdingens Mund, von dem sie
doch ahnte, dass er die Wahrheit sang. Klara hatte indes die Scherben aus dem
zerschlagenen Kapellenfenster dabei und betrachtete, je nach Passage, Sänger
und Sängersaal durch das bunte Glas: gelb für die Pfalz und grün für den Wald,
blau die Nächte und rot das Ende.
    Die Fiedel seufzte ihre letzten Töne. Alles war Kriemhild geraubt
worden, ihr Mann und ihr Besitz, und ihr blieb nichts als ein ewiger,
geduldiger Durst nach Rache. Vor lauter Erschütterung vergaß das Publikum zu
applaudieren.
    Heinrich von Ofterdingen ließ sich entkräftet in seinen Stuhl
zwischen den anderen Sängern fallen. »Wenn Ihr wissen wollt, wie es weitergeht«,
sagte er unbefangen, an den Landgrafen und sein Gefolge gerichtet, »müsst Ihr
mich im nächsten Winter wieder auf die Wartburg laden.«
    Hermann, als er wieder zu Worten gefunden hatte, wies seine Diener
an, einige Fenster zu öffnen, um frische Luft hereinzulassen. Draußen dämmerte
es zwar schon, aber dennoch wirkte der Saal nun deutlich lichter. Die bösen
Geister, schien es, die Ofterdingen beschworen hatte, waren wieder entflohen.
    Der Zeitpunkt für Reinmars Schiedsspruch war gekommen. Biterolf,
der so in Ofterdingens Erzählung versunken war, dass er für ihre Dauer keinen
Gedanken an den eigenen Tod verschwendet hatte, schrak auf und entsann sich
seiner trüben Aussichten. Die Teilnehmer des Sängerstreits wurden vor den Thron
des Landgrafen gebeten, und dort beugten Heinrich von Ofterdingen, Wolfram von
Eschenbach, Walther von der Vogelweide, Biterolf von Stillaha und der
tugendhafte Schreiber die Köpfe vor Hoheit und Richter. Aus

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