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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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musste, um sie zu erkennen. Am Neujahrstag
1195 war die Seite vollends ausgerissen und Reinmar blind.
    Tags zuvor war Leopold gestorben, unter Schmerzen und unter dem Bann
des Heiligen Vaters. Zwei Jahre darauf starb Kaiser Heinrich am Schüttelfrost,
bevor er sich mit einem Kreuzzug von der Schuld reinwaschen konnte. Das
englische Blutgeld hatte Reinmar von Hagenau in der Tat ein vorzügliches Leben
ermöglicht. Aber selbst in der vollsten Truhe stößt man irgendwann auf den
Boden.

27 . DEZEMBER
    In der Nacht nach dem Sängerstreit, kurz vor Mitternacht,
ließ sich Reinmar von Klara zum Stall führen. Im Schneegestöber konnte sie kaum
mehr sehen als er, und die kleine Laterne in ihrer Hand hatte es augenblicklich
ausgeblasen. Im Stall angekommen, klopfte sie den Schnee von seinen und ihren
Schultern und von der Mütze. Alles war still. In den Koben konnte sie die
weichen Rücken der Pferde, Schafe und Schweine erahnen. Die meisten Tiere
schliefen, und die wenigen, die im Schlaf gestört worden waren, blieben ruhig
und legten die Köpfe zurück auf Stroh, Fell und Gefieder. Reinmar wies Klara an
zu prüfen, ob auch mit Sicherheit keine Menschenseele zugegen war. Dann ließ er
sich auf einem Schemel nieder, den Klara mit Wacholder- und Schlehenzweigen
umsäumen musste.
    »Ist Euch auch sicher warm genug?«, fragte sie.
    »Aber ja. Geh jetzt. Du wirst nicht vor dem Morgen zurückkehren,
hörst du? Und bete für mich, bevor du dich niederlegst.«
    »Ja, Meister. Gott schütze Euch.«
    Reinmar hörte, wie sie die Stalltür öffnete, um ein weiteres Mal
eisigen Wind hereinzulassen, und dann hinter sich schloss. Er war allein. Als
eine Weile lautlos verstrichen war, grüßte er, »Gelobt sei Jesus Christus«, in
den schwarzen Raum. Niemand antwortete. Er griff in die Tasche seines Mantels und
holte Rüben und Äpfel hervor. »Ich habe Leckereien dabei.«
    Nun konnte er kaum erwarten, dass sich sämtliche Tiere erhoben, aus
ihren Koben sprangen und ihm aus der Hand fraßen. Tatsächlich geschah nichts.
Daraufhin warf er die Äpfel und Rüben aufs Geratewohl in die Mitte der
Stallung, in der Hoffnung, sie würden, ohne ein schlafendes Tier direkt zu
treffen, zumindest in ihrer Nähe landen. Ein Pferd schnaubte, und eine Ziege
oder ein Schaf schien sich von einer Seite auf die andere zu drehen, aber ansonsten
blieb es ruhig.
    Der Alte kam sich töricht vor. Wäre Klara noch bei ihm oder das
Wetter draußen weniger unleidlich, hätte er den Stall wieder verlassen. So aber
blieb ihm nichts, als die Wacholder- und Schlehenzweige wieder einzusammeln und
tastend nach einem Winkel zu suchen, in dem er bis zum Morgen schlafen könnte.
Er häufte Stroh auf sich und schlief ein.
    »Dort. Unter dem Stroh. Ein Mann.«
    »Jetzt wacht er auf.«
    Reinmar schrak zusammen und richtete sich auf. Wie lange er
geschlafen hatte, konnte er nicht sagen. »Wer ist da?«
    »Was denkst du denn, wer da ist? Schau doch hin.«
    »Es ist stockdunkel. Und außerdem ist er blind.«
    »Ach. Drum.«
    Reinmar tastete nach den schützenden Wacholder- und Schlehenzweigen,
aber es lag so viel Stroh um ihn herum, dass er nicht ausmachen konnte, was
kostbarer Abwehrzauber war und was wertlose Streu.
    »Hab keine Angst. Wir tun dir nichts.«
    »Wer spricht da?«, fragte Reinmar.
    »Ich bin es, die Gans«, antwortete ein hübsches Stimmchen.
    »Und ich bin die andere Gans«, sagte der, mit dem sie gesprochen
hatte. Es war eine männliche Stimme.
    »Die Gans?«
    »Gut: Der Ganter , wenn du es genau wissen
willst. Sonst schert sich nie jemand um mein Geschlecht.«
    »Jesus, Joseph und Maria«, flüsterte Reinmar, mehr zu sich: »Ich
spreche mit zwei Gänsen.«
    »Und mit einem Hund«, sagte eine dritte Stimme aus einer
entgegengesetzten Ecke, »wenn dich seine bescheidene Meinung interessiert. Das
Pferd ist auch wach. Es ist der Hengst des edlen Wolfram von Eschenbach.«
    »Grüß Euch, Reinmar von Hagenau.«
    »Ihr kennt meinen Namen?«, fragte Reinmar.
    »Aber ja. – Schaf, wach auf. Schaf! Ein Mensch möchte mit uns
sprechen; wach auf!«
    »Du musst nicht so schreien«, kam die schlaftrunkene Antwort. »Ich
war schon wach.«
    »Ich bin auch noch da.«
    »Du, Schwein«, versetzte das Pferd, »sprichst nur, wenn du gefragt
wirst.«
    »Aber ich werde nie gefragt«, klagte das Schwein.
    »Halt’s Maul.«
    »Ich wusste, dass es wahr ist«, sagte Reinmar ergriffen. »Ich höre
die Tiere sprechen! Das muss das größte Wunder meines langen Lebens sein. Ihr
sprecht,

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