Krieg der Sänger
der
Menschheit verzweifeln«, erwiderte der Teufel achselzuckend. »Ich wollte dich
schonen.«
Abermals lachte Luther laut auf. »Der Teufel! Mich schonen! Wie
mitfühlend! Ich glaube dir im Übrigen kein Wort.«
»Es ist mein Ernst. Zugegeben, Heinrich von Ofterdingen hat
überlebt, das räume ich ein. Aber nach dem Sängerstreit ging das Hauen und
Stechen erst richtig los.«
»Erzähl mir davon.«
»Das willst du nicht hören. Außerdem dauert es ewig. Du siehst aus,
als könntest du etwas Schlaf vertragen.«
»Ich bin gerührt von deinem Mitgefühl«, entgegnete Luther. »Komm
schon, du wolltest mir von den Zwölf Nächten erzählen, hast aber nur die erste
Hälfte geschafft.«
»Sechs Sänger, sechs Nächte.«
»Ich will von den übrigen sechs hören. Wenn du schon von mir
verlangst, die Bibel ins Feuer zu werfen.« Und mit einer Bestimmtheit, die
keine weiteren Einwände duldete, nahm Luther auf seinem Stuhl am Ofen Platz und
bedeutete seinem Gast, es ihm gleichzutun.
»Es wird ein Blutbad«, mahnte der Teufel. »Reihenweise sterben sie
auf der Wartburg, Männer wie Frauen.«
Statt einer Antwort wies Luther erneut auf den freien Stuhl.
»Ich fürchte wirklich, du wirst es bereuen«, seufzte der Teufel,
indem er sich niedersetzte.
»Ich will mich nicht schonen, und es wird mich nicht reuen«,
antwortete Luther. »Und jetzt erzähl, ehe auch diese Nacht um ist.«
»Wo soll ich beginnen?«
»Mit der Antwort auf eine weitere ganz wesentliche Frage, die
bislang noch gar nicht gestellt wurde: Wenn es der Plan Hermanns von Thüringen
und seines tugendhaften Schreibers war, dass Heinrich von Ofterdingen im
Sängerwettstreit unterliegt und stirbt – wie konnten sie denn überhaupt sicher
sein, dass Reinmar, der ja von den Sängern zum Schiedsrichter bestimmt wurde,
auch tatsächlich Ofterdingen auswählen würde?«
»Ah, Reinmar, ja«, sagte der Teufel und faltete seine Hände über dem
Schoß. »Beginnen wir also mit Reinmar von Hagenau.«
Zweites Buch
SÄNGERKRIEG
REINMAR VON HAGENAU
Im Frühling des Jahres 1193 nach Christi Geburt begann
Reinmar von Hagenau zu erblinden. Dieser Prozess war exakt zur Jahreswende von
1194 auf 1195 abgeschlossen: Am Silvesterabend hatte er zumindest noch das
Licht der Fackeln vor dem Nachthimmel ausmachen können, aber als er am nächsten
Morgen erwachte, wurde es nicht mehr hell. Sein Augenlicht war für immer
eingeschlafen.
Reinmar hatte zwei Theorien, die Ursachen seiner Blindheit
betreffend: Entweder hatte die eindrucksvolle Gestalt
Richards des Löwenherzigen – der stattliche Wuchs, die einnehmenden
Gesichtszüge, die goldene Lockenmähne – ihn regelrecht geblendet, und wie die
goldene Sonne dem, der direkt hineinsieht, die Augen verdirbt, so hatte es der
König von England bei dem alten Sänger getan. Oder –
und dieser Theorie gab Reinmar mit den Jahren den Vorzug – Gott der Gerechte
hatte ihn gestraft für seinen Verrat an ebenjenem Richard Löwenherz. In dem
Fall konnte sich Reinmar glücklich schätzen, nur mit Blindheit davongekommen zu
sein. Denn seinen Dienstherrn, Herzog Leopold, hatte der Schöpfer vom Pferd
geworfen, hatte das aufgerissene Bein mit Wundbrand verpestet und ihn getötet,
noch bevor die Exkommunikation gelöst und das Lösegeld verprasst worden war.
Als sich Richard Plantagenet, genannt der Löwenherzige, aus dem
Heiligen Land auf die Rückreise nach Britannien begeben hatte, hatten sich
durch Unwetter, Piraten und Franzosen so viele Hindernisse vor ihm aufgetürmt,
dass er am Ende keine andere Wahl gehabt hatte, als den Heimweg über die Adria
und Österreich einzuschlagen. Der Anführer der gesamten Christenheit in
Palästina wurde jetzt lediglich von zwei Männern begleitet; der König der
Kreuzfahrer trug die Tarnung eines einfachen Handelsreisenden. Aber in einer
Wiener Vorstadt war Richard entdeckt und gefangen genommen worden – ein Fest
für seinen Erzfeind Leopold von Österreich, der nie verwunden hatte, was
Richard ihm nach der Einnahme von Akkon angetan hatte. Für die Genugtuung,
Löwenherz einzukerkern, hatte Leopold sogar den Bannspruch des Papstes auf sich
genommen, der jedem drohte, der einen Krieger in Christus auf seiner Reise nach
Palästina oder zurück festzusetzen wagte. Gemeinsam mit Kaiser Heinrich, dem
der königliche Gefangene übergeben wurde, hatte Herzog Leopold das Lösegeld
festgesetzt, das England für seinen König zahlen sollte: sechstausend Eimer
Silber. Mit seiner Hälfte des Silbers würde
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