Krieg der Sänger
bei Gott!, wie der Esel des Bileam!«
»Hier gibt es nur den Esel des Konrad.«
»Gott im hohen Himmel, ich wünschte, ich könnte noch einmal sehen,
und wäre es nur drei Atemzüge lang! Ich will euch sprechen sehen!«
»Du hörst uns sprechen«, sagte die Gans. »Das ist schon mehr, als
alle anderen von sich sagen können, du Mutiger. Du bist der Erste in vielen
Jahren. Keiner von uns hat je mit einem Menschen gesprochen.«
»Wo seid ihr?«, sagte Reinmar und machte einen Schritt vorwärts.
»Ihr müsst mir erlauben, dass ich meine Finger auf eure Mäuler lege, während
ihr sprecht, um es zu bezeugen. Das ist meine Art des Sehens.«
»Untersteh dich, Reinmar«, sagte das Pferd streng, »wenn du nicht
willst, dass wir dir die Finger abbeißen. Wehe dem, der die strengen Regeln der
Zwölf Nächte bricht!«
»Er meint es ernst«, sagte der Hund. »Du wärst, wie du weißt, nicht
der Erste, den er verstümmelt.«
»In der Tat!«, entgegnete Reinmar. »Sag an, weshalb musstest du nach
der Hand des Thüringer Ritters schnappen?«
»Er ist roh und lästerlich.«
»Das allein genügt, einem Mann den Finger zu zerbeißen?«
»Es genügt, wenn man Wolframs Ross ist.«
»So roh der Mann, so zart sein Fleisch«, sagte der Hund. »Denn ich
hatte das Glück, seinen Finger im Hof zu finden, nachdem er ihm von der Hand getrennt
worden war.«
»Und hast mir nichts übrig gelassen.«
»Halt’s Maul, Schwein.«
»Allmächtiger, wer das hören könnte!«, rief Reinmar entzückt. »Ihr
sprecht so deutlich wie unsereins! Und so klug, wenn nicht klüger!«
»Was hattest du erwartet?«, fragte der Ganter.
»Ich war zu ungläubig, um überhaupt etwas zu erwarten. Vielleicht
dachte ich, dass ihr … mehr wie Vieh redet. Bellend,
blökend, wiehernd, gackernd. – Wo sind, weil wir davon sprechen, überhaupt die
Hühner?«
»Die Hühner lassen wir besser schlafen«, antwortete die Gans
zögerlich, »denn sie geben nur Unfug von sich und unterbrechen fortwährend sich
und andere. Nein, an den Hühnern hättest du keinen Spaß.«
»Du wirst mit uns vorliebnehmen müssen.«
»Halt endlich dein Maul, Schwein.«
»Warum haltet ihr nicht einmal euer
Maul?«, erwiderte das Schwein wütend. »Ich lasse mich nicht länger von euch
mundtot machen. Wenn ich etwas zu sagen habe, dann werde ich es auch sagen!«
»Nein, das wirst du nicht«, sagte der Hund.
»Was wollt ihr denn dagegen tun?«
Nun hörte Reinmar etwas Stroh rascheln. Offensichtlich lief der Hund
in den Schweinekoben. Einen Augenblick später schrie das Schwein vor Schmerzen
auf. Verwunderlich war, dass es auch jetzt »Au, au« rief, anstatt wie ein
Schwein zu quieken.
»Das nächste Mal beiße ich bis aufs Blut«, drohte der Hund und
kehrte an seinen angestammten Platz zurück. Einige Tiere lachten.
»Was führt dich zu uns, Reinmar?«, fragte der Ganter.
»Ich wollte mit den Tieren sprechen«, antwortete der Alte. »Ist das
nicht Grund genug?«
»Aber du weißt, was man über den sagt, der die Tiere mit
Menschenzunge sprechen hört?«
»Dann ist es wahr? Dass man sterben muss?«
Keines der Tiere gab ihm Antwort.
»Wann?«, fragte Reinmar.
»Das wissen wir nicht. Eines Tages.«
»Dann soll es mich nicht beängstigen«, sagte Reinmar. »Wenn ihr
gesagt hättet: heute, morgen, in einer Woche , hätte
ich meinen Schritt vielleicht bereut. Aber eines Tages ?
Jedermann muss eines Tages sterben.«
»Und warum kommst du gerade in dieser Nacht?«
»Weil ich mich schlecht fühle. Und weil mir auf dieser Burg keine
Gesellschaft so willkommen wäre wie die von euch arglosen Kreaturen.«
»Trauerst du um den unglücklichen Ofterdinger?«
Reinmar nickte.
»Dann hättest du einen anderen wählen müssen.«
»Das war unmöglich.«
»Weil sein Nibelungenlied ein grobes Getöse ist, dessen Dichter den
Tod verdient?«, fragte Wolframs Pferd.
Reinmar schüttelte den Kopf.
»Sondern?«
»Ich kann es nicht sagen.«
»Aber natürlich kannst du das«, sagte der Hund. »Wem sollten wir
schon etwas weitererzählen? Tags versteht uns niemand, und nachts hat niemand
den Mut, uns aufzusuchen. Und die schwatzhaften Gänse leben höchstens noch bis
zum Dreikönigstag. Also: Warum war es unmöglich, einen anderen zu wählen?«
Reinmar seufzte. »Weil mir der Landgraf fünfundzwanzig Mark in
Silber versprochen hat, wenn ich Heinrich unters Schwert bringe.«
Jetzt herrschte unter den Tieren wieder vollkommenes Schweigen, wie
zum Zeitpunkt, als Reinmar den Stall betreten
Weitere Kostenlose Bücher