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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Leopold die Exkommunikation bequem
ertragen.
    Um sich für die Haft Richards zu rechtfertigen, hatte Heinrich  VI . seine Fürsten und Bischöfe auf einen Reichstag nach
Hagenau geladen. Dort sollte dem englischen König der öffentliche Prozess
gemacht werden für all die Vergehen, die man ihm unterstellte: die
Unterstützung der kaiserfeindlichen Kräfte in Deutschland und Sizilien, die
Eroberung und den Verkauf von Zypern, zuletzt sogar die Ermordung des Königs
von Jerusalem durch Assassinen. Richard sollte mit Silber und politischen
Zugeständnissen für seine Vergehen aufkommen und Heinrich den Lehnseid leisten.
    Weil Reinmar angeboten worden war, Leopold nach Hagenau zu
begleiten, und weil Reinmar seine Heimatstadt wieder- und dem Löwenherzigen
einmal ins Angesicht sehen wollte, fand auch er sich im April 1193 im Elsass
ein. Reinmar hatte sich vorgenommen, Richard zu hassen – diesen
selbstgerechten, mordgierigen Hitzkopf, der die Deutschen mehr verachtete als
die Sarazenen –, aber Richard machte es ihm schwer. Wenige Tage nach seiner
Ankunft wurde Reinmar in Richards Zelle gebeten, denn der König hatte gehört,
dass ein Trobador gekommen war, und er war ein
solcher Liebhaber der Musik, dass ihm unter den gegebenen Umständen auch ein
deutscher Trobador recht sein sollte. Und Reinmar folgte der Einladung.
    Am Ende eines langen Nachmittages war Reinmar beseelt vom König
der Briten: Man hatte gemeinsam gesungen, bis die Kehlen heiser waren – alle
Stücke seines deutschen Repertoires, so schien es Reinmar, dazu unzählige
französische Lieder und sogar ein orientalisches, das Richard in Akkon gelernt
hatte. Obwohl bis in die Spitzen seiner Haare ein König, hatte Richard seinen
Stand in keinem Moment hervorgekehrt; hatte vielmehr Reinmar und selbst die
Wachmänner vor seiner Tür wie seinesgleichen behandelt; hatte mit denen, die es
beherrschten, Schach gespielt; hatte alle Anwesenden mit Scherzen bedacht und
sich selbst dabei nicht ausgenommen; hatte sich nicht einmal beschwert über die
niederen Bedingungen seiner Haft; hatte sogar noch das wenige an Wein, das ihm
als Gefangenem zustand, mit seinen Kerkermeistern brüderlich geteilt. Als der
König Reinmar beim Abschied bat, am folgenden Tag wiederzukommen, fühlte sich
dieser beglückt wie ein Jüngling, der von seiner Auserwählten erhört worden
war.
    Am Abend des dritten Tages glaubte Reinmar gar, den englischen König
seinen Freund nennen zu dürfen. Und er war überzeugt
von der Unrechtmäßigkeit von Richards Haft. Richard wuchs in seinen Augen zu
einem Märtyrer heran; ein Eindruck, den Richard selbst dadurch verstärkte, dass
er behauptete, der größte Erlöser nach Jesus Christus zu sein, der je im
Heiligen Land gewandelt sei. Jeden anderen hätte Reinmar verdammt für die
Anmaßung, sich als eine Art Wiedergänger des Heilands zu begreifen – nicht so
Richard Plantagenet: Hatte er nicht in der Gemeinschaft von zwölf Rittern ein
Heer von dreitausend ungläubigen Teufeln in die Flucht geschlagen? War England
nicht heimgesucht worden von Hagel, Überschwemmungen und Viehseuchen, seit er
gefangen war; von unerklärlichen Lichtern am Nachthimmel, rot wie Feuer und
Blut? War er nicht wirklich der Messias der neuen Zeit?
    Und war sein Prozess in Hagenau schließlich – ausgerechnet um die
Osterzeit! – nicht dem des Heilands vergleichbar, in dem Herzog Leopold die
Rolle des Hohepriesters zukam, der Jesus auslieferte an Pontius Pilatus vulgo
Kaiser Heinrich, der seine Hände in Unschuld zu waschen vorgab; ein
Scheinprozess, in dem die deutschen Fürsten die gleiche unkritisch-mordlüsterne
Meute abgeben sollten wie die Juden vor dem Palast des Statthalters?
    Reinmar fühlte sich bemüßigt, dem englischen König zu helfen, aber
einer wie Löwenherz lehnte jede Hilfe ab – mehr noch, er benötigte sie nicht
einmal: Als der Tag der Versammlung gekommen war, hörte er sich die Vorwürfe
aus dem Mund des jungen Kaisers mit solcher Ruhe an und beantwortete sie mit
solcher Größe, dass keiner der Anwesenden an seiner Unschuld zweifeln konnte.
Dann drehte er den Spieß um und offenbarte im Gegenzug das Netz der Intrigen,
das man um ihn gesponnen hatte, um ihn zu schwächen, zu bändigen und sich an
ihm zu bereichern. Aus dem Verklagten wurde der Kläger.
    Hingerissen verfolgte Reinmar die ihm schon bekannte Wirkung
Richards auf die anwesenden Herzöge, Grafen und Bischöfe: wie sich ihre Züge
nach und nach lösten, wie manche bald wohlwollend

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