Krieg der Sänger
Wenig später holte ihn Klara
wie vereinbart ab. Reinmar hatte sich zwar vorgenommen, die Weisung der Tiere
zu befolgen und kein Wort über diese wundersame Nacht zu verlieren, aber zu
seinem Erstaunen fragte Klara auch gar nicht nach seinen Erlebnissen.
Schweigend führte sie ihn zurück in sein Gemach.
Am Morgen hatte der Schnee der Wartburg ihre Ecken und Kanten
genommen, und in den Winkeln hatte der Wind ihn hüfthoch aufgetürmt. Die Küche
war der einzige Raum der Burg, in dem man sich noch, ohne zu frösteln,
aufhalten konnte. Dort traf Biterolf, wie er gehofft hatte, Agnes, die gerade
im Begriff war zu gehen. Sie war blass und hatte dunkle Augen.
»Ich lebe noch«, sagte Biterolf, das Offensichtliche kundtuend.
»Darüber freue ich mich«, sagte Agnes.
»Dann lass es auch dein Gesicht wissen.«
»Doch, ich freue mich wirklich«, bekräftigte sie und legte eine Hand
auf seinen Arm. »Aber jetzt müsst Ihr mich entschuldigen. Ich habe etwas
Dringendes zu tun.«
»Um Heinrich trauern?«, fragte Biterolf. »Es war ein ehrlicher
Wettkampf, und Heinrich hat verloren. Ich werde mich nicht dafür entschuldigen,
dass ich nicht seinen Platz auf dem Richtstuhl einnehme – wofür er gestern
übrigens freigiebig geworben hat, um den eigenen Kopf aus der Schlinge zu
ziehen.«
»Schon gut.«
»Ich muss mit dir reden, Agnes. Ich möchte dir ein Angebot machen.«
»Später.«
»Später hat mich der Landgraf zu sich bestellt«, erklärte er. »Ich
werde nicht mehr lange hier sein. Ich wollte so bald wie möglich aufbrechen.«
»Ihr würdet nicht weit kommen. Wir sind eingeschneit.«
Ein Knecht kam von draußen herein. Offenbar hatte er auf Agnes
gewartet. Sie nickte ihm zu. »Später«, sagte sie abermals zu Biterolf und
folgte dem Mann dann.
Biterolf ließ sich Gerstensuppe auftun und bekam einige trockene
Früchte dazu. Er wählte einen Platz gegenüber dem Singerknaben des
Ofterdingers, Konrad, der lustlos und von allen anderen Anwesenden gemieden in
seiner Schale kratzte.
»Die Elemente sind auf Heinrichs Seite, wie es scheint«, sagte er,
ohne dass Biterolf ihn angesprochen hätte. »Seit der Tag graut, stochert ein
Dutzend Männer im Schnee herum, hab ich gehört, und findet nichts als Stöcke
und Steine. Und gefrorene Scheiße: Zwei von den Aborten gehen zu dieser Seite
heraus. Da hat sich viel gesammelt, seit die Burg steht. Der Landgraf hat
Anweisung gegeben, sich während der Suche nach dem Schwert anderswo zu erleichtern,
damit es den Männern nicht noch auf den Kopf regnet.«
»Wo ist Rupert?«
»Beobachtet die Suche von den Zinnen aus und hält fraglos die kalten
Daumen, dass nichts gefunden wird. Jämmerlicher Teufel. Er ist wie ein Hund,
der vor der Tür jault, hinter der man seinen Herrn weggesperrt hat. – Hör zu,
wenn du mir einen Gefallen tun willst: Heinrichs Fiedel haben sie im Festsaal
vergessen, soweit ich weiß. Leg doch bitte beim Kanzler ein gutes Wort für mich
ein, dass er sie mir überlässt, wenn er sie nicht als Trophäe über seinen Kamin
hängen will. Ich will diese verdammte Burg nicht mit gänzlich leeren Händen
verlassen. Dich hört der Kanzler eher an als mich. Er ist gerade unten beim
Suchtrupp, aber sobald er wieder oben ist, schnappst du ihn dir, ja? Wenn er
will, kann er auch gern noch ein paar Groschen obendrauf legen. Meine
Waisenrente gewissermaßen.«
Als Nachricht in die Küche kam, dass sich der tugendhafte Schreiber
auf dem Rückweg zur Burg befand, ging Biterolf ihm also entgegen. Er wartete
vor dem Torhaus.
Der Schreiber kam ohne Richtschwert und in schlechter Verfassung:
Zwei Mann mussten ihn rechts und links stützen, weil er kaum aus eigener Kraft
stehen konnte. Sein Gesicht war schlohweiß, und in seinem Bart und einmal quer
über seine Robe und die eines Begleiters klebte Erbrochenes. Er lallte etwas
von einem »locus terribilis« , aber darüber hinaus war
er alles andere als ansprechbar. Seine Begleiter übergaben ihn in die Hände
zweier Wachmänner, die ihn weiter in seine Gemächer trugen. Einmal mehr machte
der Kanzler auf dem Weg dorthin Anstalten, sich zu übergeben, brachte aber
außer unschönen Geräuschen nichts hervor.
Die Männer, die ihn zur Burg gebracht hatten, schilderten dem Pulk,
der sich um sie gebildet hatte, was vorgefallen war: dass man nämlich, kurz
nach der Ankunft des Schreibers dort unten, mit den Schaufeln eine Kuhle
freigelegt habe, in der der herabgefallene Kot von Jahrzehnten gesammelt war;
so viel in der Tat, dass es
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