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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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hatte.
    »Ohne Zweifel hätte er mir auch dreißig gezahlt«, setzte Reinmar
hinzu, »wenn die Analogie nicht so offensichtlich gewesen wäre.«
    Keines der Tiere sprach. Nicht einmal das Schwein ergriff die
Gelegenheit.
    »Seid ihr noch da?«
    »Aber ja«, sagte nun ausgerechnet das Schaf. »Du hast …«
    »Wir haben Heinrich von Ofterdingen hintergangen. Der Landgraf und
sein Schreiber haben mich überredet, noch vor der Ankunft aller anderen,
Heinrich zum Verlierer des Wettstreits zu bestimmen, ganz gleich, wie gut oder
schlecht sein Vortrag oder die Vorträge der anderen sind. Diese Zusammenkunft
der größten Sänger ist überhaupt nur einberufen worden, um ihn auf die Wartburg
zu locken. Heinrich sollte vernichtet werden, vor den Augen des Landgrafen
unehrenhaft zum Tode befördert. Eine offene Rechnung, Heinrichs Spottlieder
über den Landgrafen betreffend. – Lauscht auch wirklich niemand?«
    »Nein, nein, wir sind unter uns«, sagte das Schaf und verfiel dann,
wie seine Genossen, wieder in Grabesstille.
    »Ich bin ein alter, blinder Mann ohne Familie«, erklärte Reinmar,
»dessen Herzog sich anderen, jüngeren Sängern zugewandt hat, und der mich,
dessen ruhmreiche Zeit zurückliegt, längst vergessen hat. Ich habe das Geld
bitter nötig. Ich kann keine neuen Lieder mehr schreiben. Ich kann nicht einmal
mehr die alten kopieren. Meine Stimme schwächelt, das Zittern kriecht mir in
die Finger. Ich muss sehen, wie ich zu Geld komme. Es ist Winter. Ich will
nicht wie irgendein namenloser Spielmann am Straßenrand erfrieren. Gut, ich
räume ein, mich an eine Lebensart gewöhnt zu haben, die nicht unbedingt
bescheiden ist, aber welche Freuden bleiben schon einem Mann ohne Augenlicht?«
Reinmar schüttelte den Kopf. »Um Gottes Minne, seht nur, wie tief ich gefallen
bin: Ich rechtfertige mich vor Hunden und Schweinen!«
    Irgendein Tier räusperte sich.
    »Also bitte«, seufzte Reinmar. »Erlegt mir Buße auf. Sprecht euer
Urteil über mich, Tribunal der Tiere, wie ich meines über Heinrich gesprochen
habe, der morgen stirbt und der mich zu Recht verflucht hat. Tut eure
Verachtung kund.«
    »In einen Mann ohne Augen kann kein Übel hinein«, sagte die Gans
leise.
    »Das Übel kam vorher«, antwortete der Alte. »Das Übel hat mich
überhaupt erst geblendet. Aber bevor ihr mich verdammt, bedenkt, wer der
Urheber dieses hinterhältigen Meuchelmordes ist: euer feiner Landgraf. Ihn
treffe euer Fluch, nicht mich.«
    »Du musst jetzt gehen«, sagte das Schwein.
    »Schon? Unser Gespräch hat gerade erst begonnen!«
    »Das Schwein hat recht«, sagte das Pferd.
    »Wollt ihr meinen Verrat gar nicht verurteilen?«
    »Es ist gut«, sagte die Gans. »Es ist gut, Reinmar. Und jetzt geh.«
    »Du darfst niemandem erzählen, dass du mit uns gesprochen hast«,
warnte der Ganter. »Wenn du das tust, wirst du auf der Stelle tot umfallen,
hörst du?«
    »Darf ich morgen Nacht wiederkommen?«
    »Auf keinen Fall. Geh jetzt.«
    »Hier irgendwo liegen Äpfel und Rüben für euch«, sagte Reinmar
freudlos; ein letzter schwacher Versuch, sein Bleiben zu erkaufen.
    »Vielen Dank.«
    Als sich Reinmar nach der Tür orientierte, begriff er, dass er gar
nicht gehen konnte. »Klara ist fort und schläft«, sagte er. »Ich finde nicht
allein zurück.«
    »Du musst.«
    »Draußen ist ein Schneesturm. Wenn ich jetzt hinaustrete, werde ich
mich verlaufen und erfrieren, und niemand würde mich hören.«
    Reinmar wartete vergebens auf eine Antwort. Stroh raschelte. Die Tür
eines Kobens wurde geöffnet. Reinmar bekam es mit der Angst, umso mehr, als
plötzlich eine Gans laut fauchte, kein bisschen menschlich mehr. Sukzessive
kamen andere Tiergeräusche hinzu; entweder erwachten nun auch die Tiere ohne
Sprache, oder die, mit denen Reinmar gesprochen hatte, hatten ihre Menschenzungen
wieder verloren. Der alte Sänger wich zurück, bis er gegen die Wand der
Stallung stieß. Wie abstrus und hässlich die Sprache der Tiere war; ganz ohne
Nuancen und ohne Zartheit! Schweine und Schafe traten gegen die
Bretterverschläge, in denen sie untergebracht war. Ein Huhn, das sich befreit
hatte, flatterte durch den Raum und zurück. Aber Reinmar blieb. Der Lärm war
ihm lieber als die Kälte.
    Irgendwann hatte sich der Aufruhr gelegt. Reinmar unternahm einige
behutsame Versuche, das Gespräch fortzusetzen, aber es war vergebens: Das Vieh
im Stall wollte oder konnte nicht mehr mit ihm sprechen. Kurz vor Morgengrauen
weckte ihn ein Hahn mit der Stimme eines Hahns.

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