Krieg der Sänger
selbst bei diesen niedrigen Temperaturen noch
stank. Angesichts der Exkremente sei der Kanzler wie vom Blitz getroffen in
Ohnmacht gefallen und habe sich, nachdem man ihn mit frischem Schnee wieder
geweckt hätte, heftig übergeben. Am ganzen Körper schlotternd und kaum der Rede
fähig, habe er die Männer gebeten, ihn fortzubringen, und auf dem Rückweg habe
er sich abermals erbrochen. Zum Beweis zeigte der Erzählende auf sein Gewand,
wo der Speifleck bereits gefroren war.
Vernünftig war das Verhalten des Schreibers nicht zu erklären. Vor
dem Torhaus machten nun die unterschiedlichsten Thesen die Runde. Böse Blicke
zog erneut Ofterdingens Pullane im Wehrgang auf sich, der ja das ganze
Geschehen aus der Ferne verfolgt, wenn nicht beeinflusst hatte. Ein Wachmann
berichtete, tief in der letzten Nacht ein Paar mit gelöschter Laterne über den
Burghof schleichen gesehen zu haben. Er habe die beiden aufgrund des
Schneetreibens nicht erkennen können, aber dass es der Knappe und der
Singerknabe des Ofterdingers gewesen seien, die sich heimlich der
Ausgangssperre des Fürsten widersetzt hätten, sei nicht auszuschließen.
Den sachlicheren Stimmen zum Trotz hatte man aus den
unterschiedlichen Auskünften bald ein Konstrukt dessen geschaffen, was seit
gestern Nacht geschehen sein musste: Die Getreuen Heinrichs von Ofterdingen
hatten die Burg nachts verlassen, vermutlich per Seil über die Mauer, und
hatten das Eisenacher Richtschwert im Schnee gesucht und gefunden. Die Wilde
Jagd habe sie während der Suche nicht angefallen, sondern vielmehr unterstützt.
Zurückgelassen hätten die beiden Männer nur eine Art Hexerei, um den
tugendhaften Schreiber, diesen erbittertsten Gegner des Ofterdingers, mit
Übelkeit und Verwirrung zu schlagen.
Dieser Anschlag auf den Kanzler von Thüringen sollte nicht ungesühnt
bleiben. Zwei Gruppen von je zwei Männern bestiegen von beiden Seiten den
Wehrgang, damit der Pullane – der zu spät bemerkt hatte, wie Stimmung gegen ihn
gemacht wurde – nicht entkommen konnte. Man forderte ihn auf, in den Burghof zu
kommen und dort ihre Fragen zu beantworten. Rupert war besonnen genug, ihrem
Befehl Folge zu leisten und das Zerren und Stoßen sowie ihren rüden Ton ohne
Protest hinzunehmen. Ebenso besonnen gab er Antwort auf ihre Fragen; nannte
ihnen die Zeugen, in deren Gegenwart er die Nacht verbracht hatte, und beschwor
beim Retter der Welt und bei der Heiligen Jungfrau, weder das Schwert gefunden
noch irgendetwas mit den bösen Seelen aus dem Hörselberg zu schaffen zu haben.
Der Wortführer der Ankläger – jener Schildknappe des Burghauptmanns,
der im Zweikampf gegen den Pullanen angetreten war und die Demütigung noch
lange nicht verwunden hatte – stellte darauf Ruperts Recht infrage, auf Jesus
und Maria zu schwören, da der christliche Glaube des Orientalen verunreinigt
sei; durch die Nähe und Freundschaft zu den Muselmanen verwässert und vergiftet.
»Unser Christus ist größer als deiner«, sagte der Knappe, und mit
diesen Worten griff er nach dem Kreuz um Ruperts Hals.
Damit hatte der Aufwiegler sein Ziel erreicht: Rupert packte die
Hand des Knappen, um ihn daran zu hindern, dass er den Rosenkranz zerriss. Ein
Gerangel entstand. Sofort waren die Genossen des Schildknappen zur Stelle und
schlugen mit den Fäusten auf den Pullanen ein.
Wie schon im Rosengarten wusste sich Rupert meisterhaft zu wehren:
Er beantwortete das dumpfe Geprügel mit harten, präzisen Schlägen auf Kinn,
Kehle und Brustkorb, die die Ersten seiner Gegner bald in die Knie zwangen.
Wahrscheinlich hätte der Pullane sogar den Sieg davongetragen, wären nicht
zahlreiche weitere Thüringer hinzugekommen, um den Fremden zu überwältigen. Die
Burgwache tat nichts, den Streit zu beenden. Zwei Wachleute beteiligten sich
vielmehr daran.
Biterolf konnte nicht sagen, welche Seite zuerst blankgezogen hatte,
aber sobald offene Klingen ins Spiel kamen, war Rupert verloren. Er wurde
regelrecht zerhackt. Alles ging sehr schnell; so schnell, dass Rupert nicht
einmal schrie.
Als Rupert schon längst bäuchlings leblos im Schnee lag, hieben
seine Gegner – zumindest die, die nicht zu verletzt dazu waren – weiter mit
Schwertern, Dolchen und grobem Werkzeug auf seinen Rücken ein. Bei jedem
Ausholen troff das Blut von ihren Klingen und sprenkelte den Schnee im Umkreis.
Dem Toten riss man den Turban vom Kopf, schnitt ihm die rechte Hand vom Arm und – weil er gewagt hatte, den Namen des Erlösers in seinem
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