Krieg der Sänger
ketzerischen Mund zu
führen – die Zunge aus dem Rachen. Das rote Stück Fleisch wurde, auf eine
Dolchklinge aufgespießt, triumphierend in die Höhe gereckt und dann achtlos zu
den Hunden im Schatten der Stallung geworfen. Doch noch bevor die Hunde auf den
Beinen waren, war eine Krähe von oben herabgeschossen und hatte ihnen den
Leckerbissen entwendet. Mit Ruperts roter Zunge im Schnabel sahen die Thüringer
den schwarzen Vogel zum Bergfried fliegen. Die Hochstimmung war allgemein, den
zahlreichen Wunden und Blessuren zum Trotz, die ihnen der Morgenländer
geschlagen hatte.
Biterolf ahnte, dass nicht viel Zeit blieb. Er musste sich zwingen,
sich von diesem Drama zu lösen; vom Anblick des Pullanen, der inmitten seiner
weiten Gewänder und seines Blutes wie zerflossen auf dem Burghof lag. Im
Laufschritt kehrte Biterolf zurück in die Küche. Konrad nahm sich gerade einen
Nachschlag Gerstensuppe.
»Und? Krieg ich die Fiedel?«, fragte er. »Andernfalls würd ich auch
Heinrichs Pferd nehmen. Oder reißt sich Walther das schon unter den Nagel?«
»Du musst dich in Sicherheit bringen«, raunte Biterolf ihm zu. »Sie
haben Rupert getötet.«
Konrad schnappte nach Luft. Langsam ließ er die Schale sinken und
sah nach dem Ausgang.
»Nicht dort hinaus«, sagte Biterolf. »Du rennst ihnen direkt in die
Arme.«
»Wo soll ich hin?«
»Ich weiß es nicht. Zu Walther? Zu Wolfram?«
»Die werden den Teufel tun, auch nur einen Finger für mich zu
rühren«, stöhnte Konrad. »Ich geh zur Landgräfin.«
Als die Thüringer in die Küche kamen, um sich auch den zweiten Handlanger
des Ofterdingers vorzuknöpfen, schuldig oder nicht, war Konrad bereits durch
die Tür zu den Gemächern Sophias verschwunden.
Unter vier Augen dankte der Landgraf Biterolf abermals für sein
Kommen und überreichte ihm als Abschiedsgeschenk eine Summe Geldes, von deren
Höhe Biterolf überrascht war. Seine ursprüngliche Einladung, bis Neujahr und
darüber hinaus auf der Wartburg zu bleiben, habe noch immer Gültigkeit,
erklärte der Landgraf, aber er habe volles Verständnis dafür, falls einige der
Sänger es vorzögen, früher abzureisen, jetzt, wo der Wettstreit und die
bevorstehende Hinrichtung ihre Schatten über die Burg geworfen hätten. Die
Attacke des Pullanen auf einen seiner Leute und die unnötig blutige Vergeltung
seien Beweis dafür, wie sich die Stimmung bereits vergiftet habe. Berechtigte
Hoffnung bestehe, dass die Straßen morgen oder spätestens am Tag darauf wieder
passierbar seien.
Als Hermann ihm viel Glück für seinen Werdegang wünschte und stets
reiche Inspiration für künftige Werke, konnte Biterolf dem Drang nicht
widerstehen, des Landgrafen Urteil über seine Alexandreis zu erfragen.
»Ich teile die Einschätzung meines Schreibers, denke ich«,
antwortete der Fürst. »Der sich übrigens aufgrund eines Unwohlseins
entschuldigen lässt. Ja, doch, das Alexanderlied gefiel mir.«
»Und fandet auch Ihr, Euer Hoheit, dass Heinrich von Ofterdingen der
Schwächste im Wettstreit war?«
»Letzten Endes schon. Und Heinrichs Unfähigkeit, den Schiedsspruch
mannhaft und würdevoll anzuerkennen, hat diesen Eindruck noch bestätigt. Dass
er dermaßen dagegen angekämpft hat, wundert mich freilich nicht. Anders als
beim Wettkampf der lanzenbrechenden Ritter – wo, wer aus dem Sattel gestochen,
sich im Sand die Beulen und blauen Flecken reibt, unmöglich daran zweifeln
kann, dass er besiegt wurde – ist die Niederlage in einem Wettkampf der Sänger
weniger eindeutig. Weshalb fragst du?«
»Weil, wenn ich mich recht erinnere, Euer Schreiber sagte, Ihr
würdet Heinrichs Lied der Nibelungen schätzen.«
Hermann lächelte. »Das tat ich. Aber vielleicht hat mir Reinmars
klares Urteil die Augen geöffnet. Vielleicht war es mein altes, rohes Ich, das
an dieser blutigen Sage Gefallen fand. – Ein Letztes: Sophia meinte, du hättest
Interesse an unserer Amme?«
Biterolf antwortete mit einer uneindeutigen Mischung aus
Kopfschütteln und Schulterzucken.
»Geh die Sache nur an«, sagte der Landgraf, »und wenn nichts
dagegenspricht, nimm sie mit dir ins Stilletal. Der kleine Heinrich Raspe wird
sie freilich vermissen, aber meinen Segen hast du.«
Das Gespräch der beiden wurde durch die Landgräfin unterbrochen. Sie
trat ein, ohne anzuklopfen. In der einen Hand hielt sie Ruperts blutigen
Rosenkranz, an der anderen Konrad, den sie offensichtlich deshalb an die Hand
hatte nehmen müssen, damit er ihr überhaupt folgte. Die Tür
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