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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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sprechen hören, aber es war unverkennbar sein fremdartiger Zungenschlag, der aus dem Schnabel des Tieres erklang.
    »Seine verdammte Seele ist in die Kreatur gefahren«, ächzte einer
der Männer kaum hörbar.
    »Nein: Das ist der Vogel, der seine Zunge fraß!«, sagte ein anderer.
»Allbarmherziger Gott, er spricht mit seiner Zunge !«
    Der Rabe blickte nun abwechselnd vom Knappen zum Turban zu dessen
Füßen. »Mörder!«, krächzte er erneut, und: »Hol dich der Teufel!«
    »Er verflucht dich, Ulrich!«, greinte einer. »Er verflucht dich, o
Jesus Christus!«
    »In Ewigkeit, Amen«, erwiderte der Rabe.
    »Den hat der Teufel geschickt!«, kreischte ein Vierter. »Zerquetscht
ihn!«
    Die Gruppe auf dem Holzstoß teilte sich nun in jene, die dem
diabolischen Vogel den Garaus machen wollte und solche, die gar nichts mit
dieser Form von höherer Macht zu tun haben wollten und ihr Heil in der Flucht
suchten. Nur der Schildknappe blieb wie festgefroren auf seinem Platz, bis ins
Mark erschüttert.
    Alle Versuche, den Krähenvogel mit einem Knüppel totzuschlagen,
scheiterten naturgemäß an dessen Schnelligkeit. Während die anderen Krähen
aufflatterten und auf den Bergfried zurückkehrten, verblieb ihr sprechender
Artgenosse aber im Burghof und gab zur Hoffnung Anlass, ihn doch noch zu
erwischen.
    Zwei Armbrüste waren schnell organisiert. Damit wurde die Jagd auf
den Raben auch gefährlich für die anderen Bewohner der Burg, denn bald schossen
die ersten Bolzen über den Hof. Aber das Federwild hielt nie lange genug still.
Mehr Erfolg versprach da schon ein Netz, mit dem am Vormittag einige Karpfen
aus dem nahen Fischteich geholt werden sollten und das nun zum Vogelnetz
abgewandelt wurde. Aber auch diesem entkam der Rabe mal hüpfend, mal fliegend.
Schließlich wurde er es leid, gejagt zu werden. Mit den Worten »Gott will es!«
flog er auf und davon. Einer der Armbrustschützen schoss ihm einen Bolzen in
den weißen Himmel nach.
    Als Biterolf sich nach Agnes erkundigte, wurde ihm gesagt, sie
sei, verwunderlich genug, in den Wald gegangen, um draußen nach Reisig zu
suchen. Biterolf konnte sich zwar keinen Reim darauf machen, für was die Suche
nach Reisig ein Vorwand sein sollte, aber er beschloss, ihr zu folgen: Nach
einer ganzen Woche in den Mauern der Burg war sein Drang groß, sie zumindest
für einige Stunden zu verlassen, um einen klaren Kopf zu bekommen.
    Am Osthang des Burgberges verschaffte er sich ein Bild von der Suche
nach dem Richtschwert. Das Gelände war inzwischen regelrecht umgepflügt worden;
Schnee, Totholz und Gesträuch waren aus dem Weg geräumt. Hier war die Ursache
für die Wut des Landgrafen: Es schien in der Tat vollkommen unerklärlich, dass
ein Dutzend Männer es nach zwei, bald drei Tagen nicht geschafft hatte, eine
Klinge von drei Fuß Länge zu finden. Biterolf legte den Kopf in den Nacken und
sah an der Wand aus Fels und Mauer hoch zum mächtigen Palas, der alles krönte.
Aus einem dieser Fenster hatte Heinrich von Ofterdingen das Schwert
geschleudert, und wenn dem Schwert unterwegs nicht Flügel gewachsen waren, war
die Fläche begrenzt, auf der es hatte landen können. Das Verschwinden des
Schwertes war ähnlich rätselhaft wie das Verschwinden des steinernen
Christkinds, das ebenso aus dem Fenster geflogen war, ohne jemals aufzukommen.
    Einer der Grabenden trat zu Biterolf für eine kurze Pause und einen
Schluck Wasser aus dem Schlauch. Drei Theorien habe er, vertraute er Biterolf
an, was den Verbleib des Schwertes betreffe: Entweder habe sich schlicht die
Erde aufgetan, um das verfluchte Schwert zu verschlucken. Oder aber der
Ofterdinger habe sich eines Taschenspielertricks bedient und das Schwert nur
scheinbar aus dem Fenster des Festsaals geworfen. Die dritte Theorie wage er
nicht laut auszusprechen, aber auf Biterolfs Nachfrage wies er nach Osten, hin
zu den Hörselbergen.
    Allmählich verstand Biterolf den Verdruss, den Dietrich empfunden
hatte über die Angst der Thüringer vor den Geistern der Weihnachtstage. Denn
selbst die wenigen, die sich vor den Wilden Jagd nicht fürchteten, wie Agnes,
waren doch zutiefst davon überzeugt, dass es sie gab. Biterolf vergewisserte
sich: Bei Licht betrachtet, waren diese Hörselberge doch nichts als ein kahler
Bergrücken, weder besonders dunkel noch besonders hoch und ohne erkennbaren
Einstieg in die Unterwelt. So manch bizarres Felsgebilde, das einen von den
Höhen des Thüringer Waldes anglotzte, hatte ihm weiß Gott mehr Angst

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