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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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über die Lippen. Sie war unaufmerksam und fahrig wie ein junges Tier und
knabberte an den Nägeln ihrer Finger. Am liebsten hätte Biterolf Heinrich von
Ofterdingen in dessen Zelle im Südturm aufgesucht. Zweifellos war der, um den
sich alles drehte, gänzlich unerschüttert.
    Immerhin, Biterolfs Pferd war noch bei Verstand. Biterolf gab dem
Ackergaul von den Rüben, die über den Boden des Stalls verstreut lagen, strich
ihm über den Hals und teilte ihm leise mit, dass er, Biterolf, den Sängerstreit
überstanden habe und dass es bald heim ins Hennebergische gehe.
    Wolfram gesellte sich zu ihm, um ebenfalls nach seinem Pferd zu
sehen. Der Eschenbacher verschwieg Biterolf nicht, dass auch er die Wartburg so
bald wie möglich verlassen wollte. Die Durchführung eines friedlichen
Sängergipfels könne man wohl kaum wieder aufnehmen, und die Enthauptung eines
Mannes, dem er einst enger verbunden gewesen war – das Wort Freund kam nicht über Wolframs Lippen –, wolle er auf keinen Fall mit ansehen müssen.
Was ihn aber vollends von der Burg treibe, sei der Himmel über dem Thüringer
Wald: trüb wie ein verhauchter Spiegel, der nicht mehr blank zu scheuern sei.
Seit seiner Ankunft vor sieben Tagen habe man die Sonne nicht mehr gesehen,
brummelte Wolfram; es sei wie eine wochenlange Sonnenfinsternis, bei der man
fast daran zweifeln wollte, dass überhaupt noch eine Sonne existierte hinter
all den Wolken. Kein Wunder also, dass die Thüringer allmählich toll würden.
    Die Straßen seien allerdings durch den Schnee blockiert. Ein Mann
aus Eisenach habe heute beinahe zwei Stunden für einen Weg gebraucht, der
gewöhnlich höchstens einer halben Stunde bedurfte. Die Nachricht von Heinrichs
Todesurteil habe auch in der Stadt für Aufruhr gesorgt; um Heinrichs Eisenacher
Gastwirt am Georgentor, Hellgreve – einen Mann, der offenbar für seinen Mangel
an Achtung vor der gräflichen Autorität bekannt war –, habe sich eine Gruppe
von Bürgern gebildet, die ihren Protest zweifelsohne schon vor die Tore der
Burg getragen hätten, wären die Wege nur frei.
    Von der seltsamen Ohnmacht des tugendhaften Schreibers und seinem
Rückzug in die Gemächer wusste Biterolf bereits aus erster Hand. Von Wolfram
erfuhr er nun, dass sich auch Walther und Reinmar in ihre Kammern verkrochen
hatten: Walther vom Ruhm überwältigt, Deutschlands größter Sänger zu sein;
Reinmar offenbar von einem Tag auf den anderen uneins mit dem eigenen
Schiedsspruch. Jeden weiteren Vorstoß Biterolfs, über den gestrigen Tag zu
sprechen, erstickte Wolfram im Keim. Stattdessen striegelte er seinen braunen
Hengst.
    Als die Dämmerung kam und die Suche nach dem Richtschwert abermals
erfolglos abgebrochen werden musste, verdoppelte der Kanzler – der sich
inzwischen von seinem Kollaps erholt hatte – die Zahl der Männer, die am
kommenden Tag in den Hang unterhalb des Palas geschickt werden sollten. Hermann
von Thüringen lobte eine Prämie von fünf Schillingen aus für den, der Meister
Stempfels vermaledeites Schwert endlich unter dem Schnee entdeckte. Den Wachen
schärfte er besondere Aufmerksamkeit ein, und die Zugbrücke sollte nicht nur
nachts, sondern auch tagsüber hochgezogen bleiben. Nichts und niemand sollte
die Felsenburg ohne sein Wissen betreten oder verlassen.

28 . DEZEMBER
TAG DER UNSCHULDIGEN KINDER
    Einige Krähen hatten sich um den Ort des gestrigen Streits
im Burghof geschart, Schwarz auf Rot und Weiß, als ob dort in Blut und Schnee
nach der Zunge noch weitere Bissen von Rupert zu finden wären. Für die Gruppe
der Mörder, die ungeschoren davongekommen war, war die Ansammlung der Aasvögel eine
willkommene Erinnerung an ihren Sieg über den Orientalen. Fünf von ihnen
setzten sich auf einen Holzstoß und sahen den Tieren bei ihrer Suche zu.
    Der Schildknappe zeigte gerade den Turban herum, den er dem Toten
abgenommen hatte, als sich einer der Rabenvögel von den anderen löste und über
den Schnee auf ihn zuhüpfte. Wenige Schritte vor dem Knappen verharrte der
Rabe, fixierte ihn mit seinem schwarzen Auge und rief dann, laut und
verständlich: »Mörder! Mörder!«
    Namenloses Entsetzen kam auf. Mit aufgerissenen Mündern und Augen
glotzten die Thüringer den Raben an. Der Turban entglitt den Fingern des
Knappen.
    »Benedictus Dominus Deus Israel« , krächzte
der Vogel – sodass jeder, der geglaubt hatte, seine Ohren hätten ihm beim
ersten Mal einen Streich gespielt, eines Besseren belehrt war. Man hatte den
Pullanen wenig

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