Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
Vom Netzwerk:
eingejagt.
Aber hier tat man, als wären die Hörselberge der leibhafte Hort des Todes; ein
Turm der schwarzen Magie, zu dem die Wartburg auf der anderen Seite des Flusses
gewissermaßen das christliche Gegenstück bildete – die Lichtburg, die Gralsburg
hoch über dem Schmutz der Welt, die Feste der Wachsamkeit, die dem Teufel die
Stirn bot.
    Beim Fischteich hatten drei Knechte das dünne Eis zerschlagen, um die
Reuse, die in der Mitte des Gewässers versenkt war, herausziehen zu können.
Aber sosehr sie auch an den beiden Seilen zerrten, bewegte sich das Fangnetz
kaum vom Fleck. Man prüfte, ob sich das Tauwerk irgendwo verfangen hatte oder
festgefroren war. Biterolfs Angebot, die Männer zu unterstützen, wurde dankbar
angenommen, sodass sie schließlich zu viert zogen, zwei Mann an jedem Seil, in
der Hoffnung, die Reuse würde unter dem Zug nicht brechen oder zerreißen.
Endlich gab sie nach.
    Als man die Reuse ins Flache gezerrt hatte, sah man, was sie
dermaßen gehemmt hatte: Der Körper eines Mannes lag bäuchlings halb über dem
Schlauch der Reuse, halb in ihrem Netz verwickelt. Augenblicklich erkannte
Biterolf den Toten an seinen Kleidern. Es war Dietrich.
    Als der erste Schreck überwunden war, traten zwei der Fischer ins
eisige Wasser, um die Leiche vom Netz zu lösen und an Land zu tragen. Die
beiden anderen mussten ihnen vom Ufer aus helfen, denn nicht nur waren
Dietrichs vollgesogene Kleider bleischwer, nein, an seinen Körper war zudem mit
Seilen ein Gewicht gebunden, das man erst erkannte, als man den Toten auf den
Rücken gedreht hatte: der steinerne Jesus aus der Kapelle, den man der Jungfrau
Maria aus den Armen gerissen hatte, komplett bis auf das eine Händchen, das
abgebrochen und bei seiner Heiligen Mutter verblieben war; schwarz und mit
Schlamm und Schleim bedeckt, als wäre er gerade erst aus dem Mutterleib
gekommen und mit der eigenen Nabelschnur dreimal um Dietrich gewickelt worden.
    Beim Anblick dieses grotesken Paares – die Wasserleiche in Umarmung
des Christkinds – überkam selbst die Männer, die nicht ins Wasser gestiegen
waren, das Schlottern. Ein zähneklapperndes Vaterunser wurde gesprochen. Die
beiden Fischer mit den nassen Hosen baten um Erlaubnis, auf die Burg gehen zu
dürfen, um in trockene Kleider zu schlüpfen und dem Kanzler Bescheid zu geben.
Zurück blieben Biterolf und der dritte Fischer. Um nicht fortwährend auf die
aufgedunsene Leiche starren zu müssen, zogen sie die vergessene Reuse, jetzt
federleicht, ganz aus dem Wasser in den Schnee und sahen den wenigen
wintermüden Karpfen, die darin gefangen waren, beim Sterben zu.
    Der tugendhafte Schreiber kam in Begleitung des Wundarztes und der
beiden Fischer, als das Wasser längst gefroren war und wie Firnis auf der Haut
seines gewesenen Adlatus und des Christuskindes lag. Der Kanzler wies die
Fischer an, die beiden Ertrunkenen voneinander zu lösen. Der Wundarzt machte
sich sofort daran, Dietrichs Körper zu untersuchen. Niemand sprach unterdessen.
Alle standen nur dort, in ihre eigenen Atemwölkchen eingehüllt, und
betrachteten den Arzt bei seiner Arbeit. Der Schreiber schlug vor, Biterolf
möge zurückkehren in die Wärme der Burg, fort von diesem unschönen Anblick,
aber Biterolf schüttelte lediglich den Kopf. Dietrichs totes Gesicht umgab ein
eigentümlicher Zug von Unzufriedenheit, als würde man ihn im Schlaf stören.
    »Er ist ertrunken«, erklärte der Wundarzt schließlich das allzu
Offensichtliche.
    »Der Herr sei seiner unsterblichen Seele gnädig«, versetzte Heinrich
von Weißensee. »Wie sehr muss er gelitten haben, dass er seinem Leben auf diese
Weise ein vorzeitiges Ende setzte.«
    »Er selbst?«, fragte Biterolf.
    »Ganz bestimmt. Dietrich hatte gewisse … Dämonen, mit denen er zu
kämpfen hatte. Gewisse Gelüste wider die Natur und Gottes Gesetze, wenn Ihr
versteht; Domine miserere ei .«
    Biterolf nickte.
    »Ich wünschte, ich hätte ihm helfen können«, fuhr der Schreiber fort
und rang die Hände zum Himmel. »Ich wünschte, er hätte mich um meine Hilfe
gebeten! Zuletzt sah ich ihn am Heiligen Abend in der Kirche. Vielleicht hat er
dort um Linderung gebetet und wurde nicht erhört? Dann hat er sich den Heiland
aus Stein genommen und ein Seil und ist, dergestalt beschwert, in den Teich
gegangen. Am Heiligen Abend war noch kein Eis auf dem Wasser, wenn ich mich
recht erinnere.«
    »Er lag in der Mitte des Teiches«, sagte Biterolf, »quer über der
Reuse.«
    Der Schreiber fasste Biterolf

Weitere Kostenlose Bücher