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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Schlag aus, so
sehr erschrak er. Aber er hatte eine Axt. Ihm konnte nichts passieren.
Zweifellos wollte das Tier nur an ihm vorbei, um in den Rippenbögen des
Fleischhauers zu spüren, ob nicht noch irgendein Eingeweide für ihn übrig
geblieben war.
    Aber der Wolf tat nichts dergleichen. Er knurrte nicht einmal. Er
sah Biterolf lediglich in die Augen. So seltsam es war, dass sich das Tier
nicht von der Stelle rührte, so seltsam war es, tagsüber einen Wolf alleine
anzutreffen. Vielleicht war es gar kein Wolf? Bis auf die Farbe des Fells hatte
er viel mehr Ähnlichkeit mit einem Hund. Vielleicht hatte ein Wolf aus den
Bergen eine Hündin im Tal bestiegen, und dieser Bastard war die Frucht der
Schändung? Herrgott, waren diese Augen rot?
    Noch während Biterolf nachdachte, sprang der Wolfshund ihn aus dem
Stand an. Biterolf wehrte sein Maul mit dem Schaft der Axt ab und setzte sofort
einen Hieb mit der Klinge nach, aber die Axt war zu träge, um gegen das Tier
von Nutzen zu sein: Als das Beil herabkam, war der Wolf längst ausgewichen. Die
Klinge glitt durch den Schnee und grub sich in den Waldboden darunter. Noch
bevor Biterolf sie zu einem zweiten Hieb emporgehoben hatte, hatte sich der
Wolf in seiner Wade verbissen. Biterolf stürzte, trat liegend dem Wolf mit dem
freien Fuß gegen den Kopf, bis er ihm das Maul blutig getreten hatte und sich
die Kiefer wieder öffneten. Der Wolf nahm Abstand. Biterolf richtete sich
wieder auf.
    Das Leder seiner Stiefel und Hosen hatte das Schlimmste verhindert.
Es schmerzte, aber es blutete nicht. Er konnte noch laufen. Rücklings entfernte
sich Biterolf von dem Tier, die Axt allzeit zum Hieb bereit. Da es aber äußerst
beschwerlich war, rückwärts durch den Schnee zu laufen, und da der Wolf keine
Anstalten machte, ihm zu folgen, drehte ihm Biterolf irgendwann den Rücken zu.
Er lief zügig bergab und sah alle zwei Schritte über seine Schulter.
    In seiner Eile hatte er freilich eine andere Route als beim Hinweg
gewählt. Das Gelände wurde zusehends unwegsam, und um den Hang hinabzukommen,
musste Biterolf wiederholt von kleinen Felsvorsprüngen in den Schnee darunter
springen. Dass er dergestalt direkt auf die Drachenschlucht zulief, begriff er
erst, als er vor sich den dunklen Einschnitt sah und die schnee- und
eisbedeckten Böschungen zu beiden Seiten, die erst flach, dann schräg und dann
steil in den Abgrund fielen. Biterolf wog ab, entweder entlang der Klamm
weiterzulaufen oder ein Stück des Weges, den er gekommen war, wieder
aufwärtszuklettern. Rechts und links auf seinen Schultern dampfte der Schweiß.
    Den Wolf hatte er darüber ganz vergessen. Er kam von derselben Kante
herabgesprungen wie Biterolf, nur ungleich eleganter, und landete nicht
irgendwo, sondern in Biterolfs Rücken. Biterolf fiel vornüber und wurde tief in
den Schnee gedrückt. Die Axt entglitt seinem Griff. Schnee war in seinen Augen,
in seiner Nase und im Mund, und er glaubte für einen Moment, daran ersticken zu
müssen. Dann spürte er die Zähne des Wolfs in seinem Nacken, als würde er
Biterolf wie einem Hasen das Genick brechen, wenn er nur stark genug wäre. In
diesem Moment fühlte es sich an, als wäre er stark
genug.
    Aus der Umklammerung von Schnee und Wolf befreite sich Biterolf,
indem er sich zur Seite rollte. Der Wolf setzte augenblicklich nach. Diesmal
hatte er es auf Biterolfs Kehle abgesehen. Mit beiden Händen hielt Biterolf ihn
auf Abstand. Der Wolf schnappte nach allem: nach Biterolfs Hals, nach seinem
Gesicht, nach seinen Händen. Biterolf versuchte, das Tier zu würgen, aber er
bekam nur Fell zu fassen. Gemeinsam rollten sie so den Hang abwärts. Die
Schneedecke wurde immer härter, je näher sie der Böschung kamen – und ehe
Biterolf sich versah, rutschten sie von alleine abwärts. Sie glitten auf den
Abgrund zu. Plötzlich hatten sie einen gemeinsamen Feind. Die beiden Kämpfer
lösten sich voneinander, um auf dem eisigen Untergrund nach Halt zu suchen. Der
Wolf schlug seine Krallen in den Harsch. Biterolf griff hastig nach ein, zwei
Pflanzenstängeln, die sofort abbrachen. Mit einem nutzlosen Zweig in jeder Hand
stürzte er ungebremst in die Tiefe. Der Sturz wurde erst schmerzhaft, als sich der
Trichter verengte und er von beiden Wänden wund gestoßen wurde. Die Landung war
weich dank des Schnees am Boden der Klamm.
    Als Biterolf seine Sinne wieder zurechtgesetzt hatte und sich den
Schnee von Gesicht und Leib geklopft, besah er seine Lage. Die Felsspalte, in
der er sich

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