Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
Vom Netzwerk:
Burg.«
    Biterolf richtete sich auf. »Dann hast du doch auf jemanden
gewartet?«
    Sie nickte, zögerte einen Moment, und erklärte dann: »Dieser Tage,
wenn Frau Hulde durch die Nacht zieht, führt sie an der Hand die Kinder, die
ungetauft gestorben sind, heißt es, und bringt sie in ihren Garten, wo sie es
besser haben als auf Erden. Und besser als in diesem Limbus, von dem der Kaplan
sprach. Am Kreuzweg unterm Holunderstrauch kann man dem Zug der Hulden um
Mitternacht begegnen. Sie ist nicht böse, nur streng.«
    Biterolf sah Agnes dabei zu, wie sie sich Gebände und Tuch um Kinn
und Kopf wickelte. »Die meisten Menschen verschanzen sich während der Zwölften
in ihren Häusern, sobald es dunkel wird … und du gehst der Hulden freiwillig
entgegen?«
    »Ich habe nichts zu verlieren«, entgegnete sie. »Ich würde mein
Leben dafür geben, meinen Sohn noch ein letztes Mal zu sehen und zu wissen,
dass es ihm gut geht.«
    »Und dann?«
    »Wenn der Preis dafür ist, dass sie mich zu sich nimmt, dann sei es.
Die eine Hälfte der Burg würde diesen Wunsch Tollheit nennen und die andere
Aberglaube. In deinen Augen ist es wahrscheinlich Letzteres. Aber es ist mir
gleich, ob du daran glaubst oder nicht. Ich werde wieder gehen. Die nächste
Nacht verbringe ich dort.«
    Sie sammelte seine Kleider auf und legte sie über einen Hocker.
    »Komm mit. In der Küche finden wir Salbei für deine Stimme.«
    Klara, die neben Reinmar beim Morgenbrot saß, begaffte Biterolf
und Agnes, kaum dass die beiden die Küche betreten hatten. Als Agnes von einer
Küchenmagd in die Speisekammer begleitet wurde, um etwas Salbei und Honig für
einen Tee zu beschaffen, entschuldigte sich Klara bei ihrem Meister und
schlenderte zu Biterolf hinüber.
    »Dann haben sich alle deine Hoffnungen erfüllt«, sagte sie, während
sie ihren Blick auf die Tür gerichtet hielt, hinter der Agnes verschwunden war.
»Du hast den Sängerstreit überlebt und die pausbäckige Amme erobert. Ich
gratuliere.«
    »Nicht ganz«, krächzte Biterolf.
    »Wo ist deine Stimme geblieben?«
    »Das ist eine lange Geschichte.«
    »Wie bitte?«
    »Das ist eine lange Geschichte«, wiederholte er etwas lauter.
    »Biterolf ist stumm wie ein Scheit Holz«, sinnierte Klara. »Du
solltest dich mit meinem Meister zusammentun. Er deine Stimme, du seine Augen.«
    »Klara, darf ich dir eine Frage stellen?«
    »Jede. Komm etwas näher an mein Ohr, dann kannst du flüstern.«
    Biterolf beugte sich zu ihr herab. Sie drückte ihr Ohr regelrecht an
seine Lippen. »Findest du es auch seltsam«, fragte er, »dass Reinmar
ausgerechnet Ofterdingen gewählt hat?«
    Die Frage hatte eine eigenartige Reaktion zur Folge: Klara
schüttelte den Kopf, sagte dann »Nein« und schüttelte den Kopf erneut.
    »Es ist seltsam, nicht wahr?«
    »Nein«, erwiderte sie und wies zur anderen Seite des Raumes, wo
Agnes wieder erschienen war. »Da kommt deine Gemahlin.«
    Schon wollte das Mädchen wieder zurück zu Reinmar, aber er packte
sie am Arm. »Klara?«
    Sie sah zu ihm, dann zu Reinmar und mit einer gequälten Miene wieder
zu ihm. Er verstand. Ohne ihren Arm loszulassen, führte er sie aus der Küche,
über den Hof, der zu belebt war, als dass sie dort ungestört hätten miteinander
reden können, in die gegenüberliegende Kapelle. Das Kirchenhaus war so kalt und
leer wie bei ihrem letzten Besuch in der Heiligen Nacht, in der Nacht von
Dietrichs Verschwinden.
    »Jetzt wird deine Brüstefrau bestimmt eifersüchtig«, sagte Klara.
    »Was hat Reinmar getan?«, zischte er.
    »Herrgott, du machst mir Angst mit deinem Gezischel! Wie eine
Satansschlange klingst du! Sieh mal, sie haben das kaputte Fenster mit einem
Tuch bedeckt.«
    Biterolf griff Klara bei den Oberarmen und drückte sie gegen die
Wand, neben die Grabplatte eines gewesenen Landgrafen. Sie stieß sich den
Hinterkopf am Mauerwerk.
    »Au! Du tust mir weh!«
    Biterolf quetschte ihre Arme, bis seine Muskeln zu zittern und ihre
Augen zu tränen begannen.
    Schließlich gab sie nach: »Hörst du auf, mir wehzutun, wenn ich’s
dir sage?«
    Er lockerte seinen Griff, ohne ihn zu lösen.
    »Du darfst niemandem erzählen, dass du es von mir hast«, flüsterte
sie. »Erinnerst du dich, dass Reinmar vom Wunsch besessen war herauszufinden,
ob die Tiere während der Zwölf Nächte wirklich sprechen können? Vor zwei
Nächten musste ich ihn zum Stall bringen und dort mit dem Vieh allein lassen.«
    »Die Tiere haben gesprochen?«
    »Natürlich nicht. Wir wollten uns einen

Weitere Kostenlose Bücher