Krieg der Sänger
Zustimmung zu erfragen, führte Agnes ihn direkt in
seine Kammer. Noch im Flur beauftragte sie eine Magd, ihnen Feuer zu bringen.
Während sie in der dunklen Kammer auf deren Rückkehr warteten, entknotete Agnes
das Reisigbündel, legte einige Zweige in den Kamin und schichtete Feuerholz
darauf.
»Zieh dich aus und leg dich ins Bett«, wies sie den schlotternden
Biterolf an.
Die Magd kehrte mit einer Lampe zurück. Das Feuer wurde entzündet,
dann zwei Lampen im Raum. Im Licht konnte man sehen, wie bleich seine Haut
geworden war, durchsetzt von Äderchen wie weißer Marmor. Er hatte begonnen,
sich auszuziehen, war mit seinen zitternden Fingern bei den vereisten Kleidern
aber nicht weit gekommen. Agnes und die andere Magd mussten ihn schließlich
gemeinsam entkleiden; lösten mit ihren vier Händen jedes Band und jede Spange,
bis er nackt bis auf die Strümpfe zwischen ihnen stand.
Als Biterolf im Bett lag und alle Felle über ihn gehäuft waren, ließ
die Magd sie alleine. Dann zog auch Agnes sich aus. Ihr Gewand legte sie auf
das gelöste Reisigbündel. Biterolf musste mehrmals hinsehen, um sich zu
vergewissern, dass dies kein weiteres Trugbild seines unterkühlten Hirnes war:
Agnes entkleidete sich in seiner unmittelbaren Nähe. Nur einen Wimpernschlag
lang durfte er sich am Schattenriss ihres Körpers vor dem Kaminfeuer ergötzen,
dann war sie zu ihm ins Bett geschlüpft.
»Dreh dich um«, sagte sie.
Als er gehorcht hatte, schmiegte sie sich so fest an ihn, wie es nur
ging: Ihren warmen Kopf presste sie an seinen kalten Nacken, ihre Brust und
ihren Bauch an seinen Rücken, ihre Beine an seine, ihre Knie in seine
Kniekehlen. Die Arme schlang sie von beiden Seiten um seine Brust, und mit
beiden Händen hielt er sich daran fest. Er roch ihre Haare, er spürte ihre
Scham an seinem Gesäß und auf ihren Unterarmen die Gänsehaut, die die kühle
Umarmung ihr verursachte. Er taute, zerfloss in ihren Armen. Bald legte sich
auch das Zittern. Er tat einen Seufzer. Dann sank er in tiefen Schlaf, einer
Ohnmacht nicht unähnlich.
29 . DEZEMBER
Im Marksuhler Forst, auf der anderen Seite des Thüringer
Waldes, gelang es einer Gruppe von Jägern, ein Hirschrudel bei der ersten
Mahlzeit des Tages zu überraschen und das größte der Tiere mit Armbrüsten zur
Strecke zu bringen. Eben noch hatte der Sechzehnender Rindenstreifen von einer
Weide gezogen, einen Augenblick später traf ein Bolzen seinen Leib und dann ein
weiterer seinen Vorderlauf. Während das Rudel durch den Wald davonsprang,
versuchte der Hirsch ihm zu folgen, so gut es mit dem getroffenen Vorderlauf
ging, hinkte, stürzte einmal und wurde von einem dritten Bolzen ins Hinterteil
getroffen, richtete sich auf und stürzte nach einigen Schritten abermals. Ein
zweites Mal kam er nicht wieder auf die Beine: Diesmal waren die Jäger
rechtzeitig über ihm, um ihm mit Speeren und Jagdmessern den Garaus zu machen.
Der lange Gegenstand im Geweih des Hirschen, den die vier Männer
schon vorher wahrgenommen und aus der Entfernung, im Morgennebel, für einen
toten Ast gehalten hatten oder für die Geweihstange eines Rivalen, beim Kampf
abgebrochen, stellte sich als ein Schwert heraus. Es hatte sich so fest in den Sprossen
des Geweihs verkeilt, dass es nur mit einiger Kraftanstrengung herauszuziehen
war. Die Klinge hinterließ tiefe Kerben in den Stangen. Offensichtlich war das
Schwert mit großer Wucht hineingetrieben worden, weshalb es dem Hirsch aus
eigener Kraft unmöglich hatte gelingen können, sich von dieser kuriosen Bürde
zu befreien.
Eindrucksvoll an die Legende ihres Schutzpatrons erinnert, des
heiligen Hubertus, dem ein Hirsch mit einem Kruzifix im Geweih begegnet war,
fielen die vier Jäger auf die Knie und sprachen ein langes, inbrünstiges Gebet,
der tote Sechzehnender und das Schwert in ihrer Mitte.
Agnes schlief noch, als Biterolf zum zweiten Mal erwachte.
Inzwischen war es hell genug, sie eingehend zu betrachten. Biterolf hatte das
Gefühl, ihm sei noch nie in seinem Leben so warm gewesen. Er und sie bei
Anbruch des Tages, im gleichen Bett unter der gleichen Decke: Es war wie eine
Szene aus einem der sinnlichen Tagelieder, die Wolfram in jüngeren Jahren so
zahlreich verfasst hatte – zu einer Zeit, als Wolfram noch Mann war, nicht
Mönch; als er, mit Verlaub, noch Eier hatte –: Ritter
und Geliebte erwachen nebeneinander, hin- und hergerissen zwischen Nacht und
Tag, zwischen Abschied und Vereinigung, zwischen Verstand und Gefühl, um sich
dann,
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