Krieg der Sänger
mir an. Es interessiert mich. Und Ihr müsst
vor mir keine Geheimnisse haben.«
Biterolf schluckte, räusperte sich, schluckte erneut und antwortete
dann: »Sie behauptet, Reinmar könne nicht mehr dichten. Und dass sie seit
einiger Zeit seine Lieder schreibe.«
»Ich verstehe. Nun, selbst wenn es die Wahrheit sein sollte, ist es
ungezogen und respektlos von diesem Blindenhund, sie auszusprechen. Immerhin
ist Reinmar unser aller Lehrmeister, habe ich recht?«
Der Schreiber sah den beiden Männern bei ihrer Arbeit zu, wie sie
das Jesuskind wieder an der Madonna fixierten. Derweil trommelte er mit den
Fingern auf der Bank.
»Es gibt im Irrsinn dieser Tage mitunter Lichtblicke, Herr
Biterolf«, hob er dann wieder an. »Auf mein Betreiben hin hat sich der Landgraf
bereit erklärt, für die Witwe Agnes gewissermaßen die Rolle des Vaters
einzunehmen – als ihr Dienstherr – und ihr beziehungsweise Euch eine Mitgift
von zwei Kölner Mark zu gewähren, dazu aus Eisenach ein Pferd, damit sie nicht
laufen muss in ihre neue Heimat. Die Straßen sind wieder weitgehend frei. Ihr
könnt also jederzeit aufbrechen mit unserem Segen und einem hübschen Eheweib.«
»Vielleicht warte ich noch bis zur Vollstreckung des Urteils.«
Der Schreiber lachte. »Um zu sehen, dass sein Blut ebenso rot ist
wie unseres? Habt Ihr den Ofterdinger nicht schon längst vergessen? Denn
schlimmstenfalls harren wir bis zur Schneeschmelze aus, bis das vermaledeite
Schwert endlich gefunden ist. – Wolfram und Walther wollen im Übrigen auch
morgen reiten. Vielleicht könnt Ihr sie ein Stück des Weges begleiten?« Ein
paar Atemzüge später setzte er gedämpft nach: »Bitte, reitet. Ihr zwingt mich,
voller Scham einzugestehen, wie wenig Gewalt ich mitunter über meine eigenen
Männer habe, aber ich muss es Euch dennoch anvertrauen: Ich befürchte, nicht
ausreichend für Eure Sicherheit auf der Burg sorgen zu können.«
»Was soll das heißen?«
»Meine Thüringer fragen sich, wie Dietrich in die Mitte des Weihers
gelangt ist«, flüsterte der Kanzler, »und die naheliegende These, er habe es
selbst getan, verwerfen die meisten dieser blöden Esel. Sie glauben, jemand
habe den Unglücklichen getötet, und wie immer kommt bei diesen Tölpeln
natürlich niemand aus den eigenen Reihen infrage … sondern nur ein Fremder. Und
der Mensch, der in den Tagen zuvor die meiste Zeit mit Dietrich verbracht hat …«
»Das ist lächerlich!«
»Natürlich ist es das«, stimmte der Schreiber zu, legte eine Hand
auf Biterolfs Schulter und wurde abermals leiser. »Aber es ist nicht
lächerlicher als, sagen wir mal, die Vermutung, Ofterdingens Pullane habe
mittels schwarzer Magie mich mit Übelkeit und Verwirrung geschlagen. Und Ihr
habt dennoch mitansehen müssen, wie diese Unmenschen ihn in Stücke gerissen
haben. Herr Biterolf: Ihr seht mich ängstlich und zerknirscht zugleich. In
Gottes Namen, befolgt meinen Ratschlag. Verlasst die Wartburg.«
Bekräftigend hob der Kanzler beide Augenbrauen. Dann holte er seine
Geldkatze hervor und drückte Biterolf zwei Mark in die Hand.
Biterolf war zu sprachlos gewesen, die Annahme des Geldes zu
verweigern. Draußen vor der Kapelle sah er auf die Münzen in seiner Hand. Er
wusste jetzt, was der Schreiber getan hatte: Diese zwei Mark waren keine
Mitgift, sie waren Handgeld – Schweigegeld, damit Biterolf seine Sachen packte
und die Wartburg verließ, ohne Fragen zu stellen. Aber Biterolf würde nicht
ohne Weiteres gehen. Sein Blick wanderte zum Südturm, in dem Heinrich von
Ofterdingen saß; der hintergangene Freund der Wahrheit, das Opfer eines
heimtückischen Anschlags. Und ihn, Biterolf, hatten Reinmar, der Landgraf und
der Schreiber ebenso genarrt. Ihrethalben hatte er mehrere Tage unnötig den Tod
vor Augen gehabt, hatte Flucht und Kapitulation erwogen, hatte um seinen Kopf
gebangt und gebetet und dabei mehr Angst ausgestanden als je zuvor in seinem
Leben. Der Wettstreit, den er als eine heilige Prüfung aufgefasst hatte, war
nur eine Kulisse gewesen und seine Teilnehmer nur Beiwerk. Das Lob des
Landgrafen und seines Schreibers war gelogen und wertlos. Natürlich war er,
Biterolf, mit Abstand der schlechteste der Sänger.
Biterolf würde Heinrich von Ofterdingen entführen. Er würde ihnen
auf diese Weise heimzahlen, was sie ihm angetan hatten. Er spürte, wie der
Gedanke an diese aufrechte, tollkühne Rebellion sein Blut erhitzte. Die
Bisswunde in seinem Nacken brannte. Vielleicht hatte der Wolf ihn
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