Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
ernst meine mit den angekündigten Reformen. Der Bekannte schrak zurück und wurde rot. Ängstlich bat er mich, nie wieder die Wörter »Assad« oder »Präsident« in den Mund zu nehmen. »Sag ›unser Onkel‹, wenn es sein muss!« Selbst als wir alleine waren, wollte er nicht über Politik sprechen. »Die Wände haben Ohren«, sagte er.
Die Angst des Herrschers und die Ängste seiner Untertanen schaukeln sich wechselseitig hoch. Meistens sind es die Untertanen, die irgendwann ihre Ängste überwinden und den Despoten vom Thron stoßen, weil dieser in der Logik der Macht und in der Paranoia, diese zu verlieren, gefangen bleibt. Je mächtiger er wird, desto ängstlicher wird er, desto höher steigt die Zahl seiner Opfer, die er auf dem Altar der Macht schlachtet. Die meisten arabischen Diktatoren sind klassische tragische Helden. Alle betraten die politische Bühne als Erlöser und Hoffnungsträger und endeten als Schatten ihrer selbst. Waren es tatsächlich ihre eingeborene Charakterschwäche, Gier und Machtbesessenheit, die aus ihnen brutale Diktatoren machten? Oder waren die Angst, die Gleichgültigkeit und die Herrschaftstreue ihrer Untertanen Zepter, Thron und Krone ihres Peinigers? In Ägypten sagt ein Sprichwort: »Pharao, sag mir, wer dich zum Pharao ernannte?« Der Pharao sprach: »Es gab niemanden, der mir im Wege stand.« Der libanesisch-amerikanische Dichter Gibran formulierte es so: »Die Regierung ist ein Abkommen zwischen dir und mir, und wir beide sind meistens im Irrtum!«
Es liegt in der Natur des Polizeistaates, dass er seinen Bürgern nicht vertraut, deshalb entwickelt er die Methoden der Überwachung und versperrt die Kommunikationswege. Und so setzt das Regime alles auf die Karte des Sicherheitsapparats. Doch wenn aus irgendeinem Grund dieser Apparat fällt, fällt mit ihm auch das gesamte Regime. Deshalb meine ich, dass Mubarak nicht am 11. Februar entmachtet wurde, sondern bereits am 28. Januar, als sich die Polizeieinheiten vom Tahrir-Platz zurückgezogen haben.
Wodurch erhielt nun die Seite »We are all Khalid Said« auf Facebook ihre entscheidende Rolle? Im Gegensatz zu anderen Oppositionsgruppen, die seit Jahren auch im Internet gegen das Regime Mubaraks kämpfen wie »Kefaya« und »6. April«, war die Gruppe von »Khalid Said«, die ich früher für amateurhaft und apolitisch gehalten hatte, am effektivsten, weil sie sich nicht um alle politischen und sozialen Probleme Ägyptens kümmerte, sondern sich auf die Willkür der Polizei konzentrierte. Regelmäßig wurden Videos und Nachrichten auf der Seite gepostet, die von der Brutalität der Staatsbeamten zeugten. Dies sprach die Mehrheit der Seitenbesucher an, denn fast jeder Ägypter hat eine unangenehme Erfahrung mit der Polizei gemacht, ob ein Taxifahrer, der erpresst wird, um »Trinkgeld« zu bezahlen, ein Straßenverkäufer, der täglich von Polizisten durch die Straßen gejagt wird, oder ein Fußballfan, der ohne Grund verprügelt wird, während er vor dem Stadion auf Einlass wartet.
Das Regime meinte, für die frustrierte Bevölkerung immer wieder ein Ventil schaffen zu müssen. Gelegentlich wurden Demonstrationen genehmigt, um der Bevölkerung durch inszenierte Wutorgien den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zum ersten Mal durften die Ägypter aus Solidarität mit den Palästinensern im Jahre 2000 nach dem Ausbruch der zweiten Intifada demonstrieren. Immer wieder durften die Ägypter mit staatlicher Duldung, ja sogar mit Wohlwollen, gegen die üblichen Windmühlen auf die Straße gehen: gegen die Israelis, gegen die Amerikaner, gegen die Mohamed-Karikaturen oder gegen einen Wichtigtuer aus Amerika, der ankündigte, öffentlich einen Koran verbrennen zu wollen. Meistens demonstrierten die Ägypter für Themen, die nicht die ihren waren. Aber letztlich waren diese Demonstrationen wohl doch eine gute Übung, denn die Angst vor der Straße nahm ab. In einem Land, in dem es verboten war, dass mehr als fünf Personen auf der Straße miteinander diskutieren, war es ein Traditionsbruch, in großen Zahlen zu demonstrieren. Auf staatlichen Befehl lernten es die Ägypter jedoch. Und irgendwann richtete sich die Wut dann auch gegen die richtige Adresse.
In Libyen begannen die Unruhen ähnlich. Am 17. Februar 2011 kam es zu einer Großdemonstration in Bengasi, nicht weil Mubarak sechs Tage davor gestürzt worden war, sondern weil dieser Tag der fünfte Jahrestag einer Demonstration war, die von Gaddafi brutal niedergeschlagen worden war. Am
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