Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
17. Februar 2006 hatte Gaddafi eine Demonstration gegen die Mohamed-Karikaturen zugelassen, doch diese wandelte sich bald in eine Revolte gegen den Alleinherrscher Libyens. Im Demonstrationszug liefen Angehörige der 1200 politischen Gefangenen mit, die 1999 nach einer Gefängnisrevolte von Gaddafis Männern liquidiert worden waren. Die Geister, die der kostümierte Mörder rief, wurde er nicht wieder los. Nach dem Erfolg der tunesischen und ägyptischen Protestbewegungen trauten sich die Libyer – dann auch die jemenitischen und syrischen Rebellen – mehr zu und wollten alles.
Der Nachhall der Facebook-Revolution erreichte sogar China, wo das Regime das soziale Netzwerk zeitweise sperren musste, bis es seine Fifty Cent Army aktivieren konnte: Zehntausende Studenten, die Tag und Nacht im Internet regimefreundliche Kommentare posten und der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln, dass die Mehrheit der Bevölkerung mit der Arbeit der Regierung zufrieden sei. Eine Taktik, die nun von den Anhängern der gestürzten Regime in Ägypten und Tunesien benutzt wird, um den Eindruck zu erwecken, dass die arabische Revolution von einer Minderheit gesteuert werde und nicht die gesamte Bevölkerung repräsentiere.
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Die Medien und die Massen
W enn wir von der schweigenden Mehrheit sprechen, die eine kritische Masse geworden ist, können wir die Rolle der Medien dabei nicht außer Acht lassen. Meine Ausgangsthese war, dass die Massen in der arabischen Welt nicht auf die Straße gingen, weil es ihnen heute schlechter geht als früher, sondern umgekehrt. Viele Menschen können sich heute mehr leisten als früher, sie konsumieren mehr und sind mobiler geworden. Das schafft jedoch nicht unbedingt mehr Zufriedenheit. Zu den beliebtesten Konsumgütern auch in den arabischen Staaten gehören Fernseher, Computer und Mobiltelefone. Die wirtschaftliche und technologische Entwicklung führte zwangsläufig auch in Nordafrika und im Nahen Osten zur Entstehung neuer Medien und durch die Konkurrenz zur Veränderung der alten. Das bedeutet, dass die Massen heute mehr Medien konsumieren.
Sowohl lokale, oppositionelle Medien als auch die überregionalen Medien wie Al-Dschasira und Al-Arabiya haben eine entscheidende Rolle gespielt bei der zunehmenden Politisierung der Massen in den arabischen Ländern während der letzten anderthalb Jahrzehnte. Alles begann mit der Gründung des arabischen Senders Al-Dschasira im Jahr 1996, der innerhalb von wenigen Jahren in Bezug auf technische Ausstattung und Professionalität internationale Standards erreichte. Aber erst mit dem 11. September 2001 stieg Al-Dschasira zur Medienweltmacht auf.
Zwar befand sich der Sender schon seit 1994 im Aufbau, doch der wirkliche Beginn von Al-Dschasira ist einem Putsch im Haus des Emirs von Katar im Jahr 1995 zu verdanken. Kronprinz Hamad bin Khalifa, der an der britischen Militärakademie Sandhurst studiert hatte, nahm den eigenen Vater fest und erklärte sich zum neuen Emir. Er zeigte sich reformorientiert und wollte die Medienlandschaft umgestalten. Die Abschaffung des Informationsministeriums und der Zensurbehörde waren seine ersten Amtshandlungen. Al-Dschasira sollte ein Prestigeprojekt des Emirs sein und wurde seit seiner Gründung mit 30 Millionen US -Dollar jährlich von ihm finanziert. Viele Mitarbeiter, Redakteure und Moderatoren, die nach der Schließung der arabischen Sektion der BBC im Jahr 1994 auf Jobsuche waren, wurden bei Al-Dschasira aufgenommen und trugen dazu bei, dass der neugeborene arabische Sender mit höchster Fachkompetenz starten konnte. Das Motto von Al-Dschasira seit dem ersten Tag ist: Es gibt immer mindestens zwei Meinungen.
Heute verfügt Al-Dschasira über Büros und Korrespondenten in aller Welt. Der Sender präsentierte neue Formate, mit denen die arabischen Zuschauer nicht vertraut waren. Kontroverse Polit-Talks, zu denen stets Gäste unterschiedlichster Couleur eingeladen werden, sind beim Publikum außerordentlich beliebt. Dieses Konzept von Al-Dschasira machte in der arabischen Welt Schule und war der Beginn einer neuen Talkshowkultur. Besonders nach dem 11. September und während des Irak-Krieges waren die Diskussionen extrem aufgeheizt. Es kam zu übelsten Beschimpfungen, ja sogar zu Handgreiflichkeiten. Ein populärer Moderator bemerkte während der ägyptischen Revolution: »Unsere Medien sollten sich aufrüsten, um die Peiniger und Diktatoren der arabischen Welt zu stürzen.«
Politisch wie religiös war dem
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