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Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Titel: Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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er die Armee bei 30 000 Mann stagnieren und rüstete sie kaum auf. Dafür stockte er die Polizei auf rund 600 000 Mann auf und räumte ihr sämtliche Privilegien ein. Die Polizei schirmte ihn ab und garantierte 23 Jahre lang seine absolute Herrschaft. Dennoch war es die kleine Armee, die ihn unter Druck setzte, das Land am 14. Januar zu verlassen. Als der Generalstabschef der Armee es ablehnte, auf Befehl Ben Alis auf Demonstranten zu schießen, begann ein Riss zu wachsen. Am Tag des Abdankens ließ die Armee Ben Ali wissen, dass der tunesische Luftraum nur noch drei Stunden offen sein würde, danach könne er das Land nicht mehr verlassen.
    Obwohl es sich mit Ägypten und Tunesien um zwei Polizeistaaten handelte und ein Auslöser der Revolte da wie dort der Tod eines jungen Mannes war, der unter der Willkür der Polizei zu leiden hatte, unterscheiden sich beide Länder und beide Revolutionen doch sehr. Tunesien ist ein Land mit zehn Millionen Einwohnern und einem hohen Bildungsniveau, in dem die Religion kaum eine Rolle im öffentlichen und politischen Diskurs spielt. Während Husni Mubarak, wie seine Vorgänger, die religiösen Institutionen und die religiöse Bildung nutzte, um seine Macht zu legitimieren und für Loyalität unter der Bevölkerung zu werben, schränkte Ben Ali in bester französischer laizistischer Tradition die religiöse Erziehung ein und gestattete religiösen Organisationen kaum öffentliche Auftritte. Moscheen mussten innerhalb von 30 Minuten nach dem Ende des Gebets wieder schließen, um keine Orte von Diskussionen zu werden. Gebete auf offener Straße wurden ganz verboten. Phänomene wie die Massenverschleierung von Frauen in Ägypten sind in Tunesien kaum erkennbar.
    Trotz aller Unterschiede ähneln sich Ägypten und Tunesien doch im Umgang mit der Macht der beiden Diktatoren und in der Dekadenz der herrschenden Eliten. Auch wenn der Tod von Bouazizi und Khalid Said eine wichtige Rolle für den Ausbruch der Revolte gespielt hat, so ist für die arabische Revolution die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Korruption und Machtmissbrauch maßgebend. Die Unruhen in Tunesien begannen, knapp drei Monate nachdem Wikileaks geheime US -Dokumente über den dekadenten Lebensstil des tunesischen Diktators und seiner Ehefrau veröffentlicht hatte; das war kein Zufall. In Ägypten sorgten Enthüllungen über Fälle von Machtmissbrauch in den Kreisen der Familie Mubarak seit Jahren für Unmut. Dies machte allerdings nicht Wikileaks, sondern Al-Dschasira öffentlich. Es ist seit Jahren bekannt, dass Mubaraks ältester Sohn Alaa seine Finger in fast allen wichtigen Wirtschaftsprojekten des Landes hat. Investoren soll er oft gedrängt haben, ihn als Geschäftspartner anzunehmen, obwohl er sich nie finanziell an deren Projekten beteiligt. Über ihn erzählt man sich diesen bitteren Witz: Ein armer Mann findet in der Wüste die Wunderlampe von Aladin und reibt daran, bis der Dämon aus der Lampe herauskommt. Kurz danach kommt aus der Lampe ein weiterer, gut gekleideter Mann. Der Dämon stellt ihn als Alaa Mubarak vor, seinen Partner in der Lampe, und warnt den Armen, sich genau zu überlegen, was er sich wünsche, denn Mubaraks Sohn wird sofort die Hälfte davon gehören. Das Gleiche gilt für die Kinder des libyschen Diktators Gaddafi, den Sohn von Jemens Salih und den Cousin des syrischen Despoten Assad.

    Mubarak saß 1981 neben Präsident Sadat, als dieser von einem Armeeoffizier umgebracht wurde. Die Angst vor dem Militär führte Mubarak dazu, nicht nur die Polizei als Schutzschild aufzubauen, sondern auch mehrere Sicherheitsapparate, die einander ständig beobachten. Aus dieser Logik heraus entwickelten sich alle arabischen Staaten zu effizienten Polizeistaaten. Da die meisten arabischen Herrscher die Macht geerbt haben oder durch einen Militärputsch nach oben gekommen sind, sind sie zwangsläufig misstrauisch, wenn nicht gar paranoid. Mubaraks erste Amtshandlung war die Ausrufung des Kriegsrechts, das bis zu seiner Entmachtung 2011 nicht aufgehoben wurde.
    Als ich in den 1990er Jahren in Kairo studierte, war es beinahe unmöglich, den Namen Mubarak öffentlich auszusprechen. Viele trauten sich nicht einmal im Familienkreis, den Diktator zu kritisieren. Mein Zimmer im Wohnheim wurde mehrmals durchsucht und harmlose religiöse Literatur dabei beschlagnahmt. 2004 war ich zu Forschungszwecken in Syrien. Ich war in Aleppo mit einem Bekannten unterwegs und fragte ihn, ob der syrische Präsident Assad es

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