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Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Titel: Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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Umfrage des amerikanischen Forschungsinstituts Zogby sehen zwar viele Araber den Sender regelmäßig, aber nur neun Prozent aller arabischen Zuschauer beziehen ihre erste Information durch ihn, während Al-Dschasira nach wie vor mit 53 Prozent weit vorn liegt.
    Der Erfolg von Al-Dschasira und Al-Arabiya setzte die Diktatoren in der arabischen Welt von Anfang an unter Druck. In der Folgezeit genehmigten einige Machthaber die Entstehung von privaten Sendern und Zeitungen in ihren Ländern. So wurde in Ägypten 2005 ein neues Mediengesetz verabschiedet, das oppositionelle Zeitungen und private Satellitensender zuließ. Diese scheuten sich am Anfang zwar, das Regime direkt zu kritisieren, aber sie trugen dazu bei, dass sich eine neue Streit- und Debattenkultur in Ägypten etablierte. Von dieser neuen relativen Freiheit profitierte allerdings am meisten die salafistische Bewegung, die mit zwei Sendern, Al-Rahma und Al-Naas, überwiegend mit saudischen Geldern finanziert, in wenigen Jahren überall in der arabischen Welt rückständiges orthodoxes Gedankengut verbreitete. Toleriert wurden die Sender nur, obwohl sie gegen religiöse Minderheiten hetzten, weil sie lediglich missionarische Botschaften sendeten und keine Kritik an den Machthabern übten.
    Spätestens mit der Einführung von YouTube und später Facebook sowie der Etablierung einer Blogger-Szene sahen sich die nichtreligiösen Satellitensender gezwungen, die Themen, die in den Blogs diskutiert werden, wie Folter und Korruption, auch in ihre Sendungen aufzunehmen. Das trug zur Politisierung breiter Schichten bei, die sonst keinen Internetzugang haben. Während nur zehn Prozent aller Ägypter als regelmäßige Internetnutzer gelten, verfügen 68 Prozent aller Haushalte über einen Fernseher. In Libyen liegt die Anzahl der Internetnutzer unter fünf Prozent, während in Tunesien zwischen 25 und 35 Prozent der Menschen online sind. Aber die Reichweite dieser neuen ist durch die Wechselwirkung mit den traditionellen Medien natürlich viel größer. Tunesien ist das beste Beispiel dafür.
    Die Revolution in Tunesien verschliefen sowohl die westlichen als auch die traditionellen arabischen Medien. Die ersten Protestaktionen in Sidi Bouzeid, dem Heimatort von Mohamed Bouazizi, der sich selbst verbrannte, blieben weitgehend im Verborgenen, bis die tunesische Bloggerin Lina Mhenni ein Video über den Fall via Facebook in Umlauf brachte. Die internationalen Medien nahmen vom Aufstand erst dann Kenntnis, als die Demonstrationen, die in den ersten beiden Wochen hauptsächlich in den Provinzstädten Bizerte, Gasserine, Sfax, Jandouba, Baja, Hammamet und Nabeul stattfanden, endlich die Hauptstadt Tunis erreichten. Als die Demonstranten die Straße Bourguiba betraten und vor dem Innenministerium demonstrierten, war klar, dass es sich um eine ernstzunehmende Bewegung handelte. Trotzdem waren fast alle Berichterstatter überfordert und wussten nicht genau, wie sie diese Protestaktionen einordnen sollten. Dass in Tunesien seit 24 Jahren ein Diktator herrscht, schien viele »Nahostexperten« zu überraschen. Überhaupt, dass die Proteste in Tunesien losgingen, wo die Wirtschaft und das Bildungssystem viel besser zu funktionieren scheinen als in den meisten arabischen Staaten, rief bei den meisten Beobachtern Staunen hervor.
    Alles begann mit einer Aufnahme durch eine Handykamera des Cousins von Bouazizi, die die Bloggerin Lina auf Facebook postete. Al-Dschasira nahm davon Notiz und eröffnete den Kampf gegen Ben Ali. Aber Al-Dschasira verließ sich dabei fast ausschließlich auf Berichte und Videos, die tunesische Aktivisten auf Facebook oder in den Blogs über die Entwicklung der Protestaktionen und die Brutalität der Polizei veröffentlichten. In Tunesien, wo die Zensur viel schlimmer war als in Ägypten, galt Al-Dschasira in der Bevölkerung als die einzige zuverlässige arabische Informationsquelle. Al-Dschasira war gleichsam der verlängerte Arm der neuen Medien. Ben Ali war das ein Dorn im Auge, denn das machte die Propaganda seiner staatlichen Medien beinahe überflüssig.
    Die große mediale Sympathiewelle, welche die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz einige Wochen später erreichte, blieb den tunesischen Aufständischen zunächst vorenthalten. Fast wie immer war es Al-Dschasira, das die Dimension zuerst erkannte und regelmäßige Berichterstattung anbot. Die westlichen Medien, mit Ausnahme der französischen, blieben zunächst auf Distanz. Erst nach der zweiten Ansprache

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