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Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Titel: Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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Polit-Talk auf Al-Dschasira kein Thema zu heiß: Irak, Israel, Terrorismus. Pro-Saddam, proamerikanische und sogar proisraelische arabische Gäste kamen zu Wort. Lediglich die Debatte zwischen einem ägyptischen Islamisten und der syrischen Dissidentin Wafaa Sultan brachte den Sender ins Straucheln. Die in Amerika lebende Psychiaterin kritisierte den Koran und den Propheten Mohamed in einer Weise, die viele Zuschauer als beleidigend empfanden. Hier zeigten sich einmal die Grenzen der Toleranz gegenüber der anderen Meinung. Der Sender musste sich bei seinen Zuschauern entschuldigen, und Wafaa Sultan und andere islamkritische Stimmen wurden nicht mehr eingeladen. Außer dem Propheten und dem Emir von Katar war dem Sender nichts heilig. Kein arabisches Regime konnte sich vor Kritik sicher fühlen. Und so entwickelte sich der Emir von Katar zu einem der mächtigsten arabischen Führer, obwohl er nur der Herrscher über 600 000 Untertanen ist.
    Trotz der großen Beliebtheit, derer sich der Sender unter den arabischen Völkern erfreut, kann er sich nicht alleine finanzieren. Die arabischen Firmen, vor allem am Golf, schalten keine Werbung bei Al-Dschasira, da die meisten arabischen Herrscher den Sender als feindselig einstufen. Oft wurden Korrespondenten von Al-Dschasira aus Algerien, Ägypten, Jordanien oder Tunesien hinausgeworfen und die Büros des Senders immer wieder geschlossen. Besonders in Syrien stehen die Mitarbeiter von Al-Dschasira unter strenger Beobachtung des Regimes.
    Al-Dschasira hatte als einziger Sender ein Büro in Afghanistan und berichtete live über den Krieg nach dem 11. September. Die exklusive Ausstrahlung der Botschaften von Bin Laden und die Veröffentlichung von Bildern der zivilen Opfer der amerikanischen Luftangriffe in Afghanistan haben den Sender in der arabischen Welt noch beliebter gemacht. Im Westen betrachtet man ihn mit gemischten Gefühlen. Zum einen bewundert man die rasante Entwicklung des arabischen Senders, zum anderen befürchtet man, dass er sich langsam, aber sicher zum Sprachrohr des internationalen Terrorismus und antiwestlicher Rhetorik entwickelt.
    Der Aufstieg von Al-Dschasira veranlasste arabische Geschäftsleute, ähnliche Experimente zu wagen. Gab es vor dem 11. September 2001 nur zehn arabische Satellitensender, die weltweit zu empfangen waren, sind es bis zum Ausbruch der arabischen Revolution über 700, von denen 474 gebührenfrei zu empfangen sind. Viele dieser Sender orientieren sich an Al-Dschasira und kopierten sogar einige Talk-Formate des umstrittenen katarischen Senders. Darunter ist der saudische Sender Al-Arabiya, der seit März 2003 zunächst von Kairo, dann von Dubai aus sendet. Der Besitzer des Senders, Walid Al-Ibrahimi, ein Schwager des saudischen Königs, vergleicht den Konkurrenten Al-Dschasira mit dem amerikanischen Sender Fox, einem populistischen Murdoch-Kanal, während er Al-Arabiya und dessen vermeintliche Sachlichkeit und Neutralität als das arabische Pendant zu CNN bezeichnet. Diese Neutralität manifestiert sich in den Begriffen, mit denen der Sender die Konflikte in der Region beschreibt. So redet man nicht von einer amerikanischen Invasion des Irak, wie es Al-Dschasira tut, sondern einfach von amerikanischen Truppen. Auch die israelischen Militäraktionen in Gaza werden bei Al-Arabiya als »Operationen« bezeichnet, nicht als »Aggression«, wie auf Al-Dschasira. Die palästinensischen Opfer solcher Operationen sind bei Al-Dschasira »Märtyrer«, während Al-Arabiya sie »Tote« nennt. Diese Begriffe vermeidet übrigens die englische Version von Al-Dschasira, die viel professioneller und neutraler ist als die arabische. Es handelt sich eigentlich um zwei völlig unterschiedliche Sender, die nur den Namen zu teilen scheinen. Die englische Version von Al-Dschasira ist eher mit CNN zu vergleichen.
    Verschwörungstheoretiker messen dem Zeitpunkt der Gründung des saudischen Senders Al-Arabiya Bedeutung bei, da der Sender am 3. März 2003 auf Sendung ging, keine drei Wochen bevor George Bush seine Truppen in den Irak schickte, um Saddam Hussein zu stürzen. Während des Krieges war auf Al-Arabiya ein klarer pro-amerikanischer Unterton zu hören. George Bush, der oft in den arabischen Medien kritisiert wurde, wurde bei Al-Arabiya, zumindest in den ersten Tagen des Krieges, fast wie ein Befreier des irakischen Volkes gefeiert. Deshalb hält sich auch die Popularität von Al-Arabiya auf den arabischen Straßen bis heute in Grenzen. Laut einer

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