Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
werden in diesen Ländern, die über hervorragende Medienmacher und Journalisten verfügen, neue TV -Sender und Zeitungen entstehen, die in der arabischen Welt eine wichtige Rolle spielen werden. Ein Anfang davon ist in Ägypten zu spüren. Wenige Tage nach dem Sturz Mubaraks ging der neue Sender Al-Tahrir, gegründet von einer Gruppe unabhängiger Journalisten, auf Sendung, darunter der beliebte Journalist Ibrahim Eissa, der vor einigen Jahren ins Gefängnis musste, weil er einen Artikel mit dem Titel »Götter sterben nicht« über den Gesundheitszustand von Mubarak veröffentlicht hatte. Der Sender sollte sowohl von den Geldern der Geschäftsleute als auch vom Staat unabhängig bleiben und setzt auf junge Ägypter, die in den Programmen des Senders auch schon spürbar vertreten sind. Momentan lässt sich der Sender von einem renommierten Verleger finanzieren, der sich aber in die Programmpolitik nicht einmischen darf. Das Besondere an dem Sender ist, dass er keine Tabus kennt. Er ist fast das einzige Medium, das den Militärrat heftig kritisiert und ihm sogar Versagen vorwirft in einer Zeit, in der andere private Sender die Militärmachthaber ständig loben. Binnen weniger Wochen erreichte Al-Tahrir traumhafte Einschaltquoten und schlug Al-Dschasira zumindest in Ägypten. Zahlreiche Werbeverträge sicherten nicht nur die Existenz des Senders, sondern auch seine Unabhängigkeit. Aus der Erkenntnis heraus, dass eine Demokratie nur mit unabhängigen Medien funktioniert, die nicht nur »echte« Informationen bringen, sondern auch als Kontrollinstrument für die Regierung und die staatlichen Institutionen fungieren, gab sich der neue Tahrir-Sender das Motto »Das Volk will die Köpfe befreien«.
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Die Revolution der Frauen
D er Tahrir-Platz hat seinen Namen einigen gebildeten ägyptischen Frauen zu verdanken, die sich vor 90 Jahren demonstrativ den Schleier vom Kopf rissen und zur Befreiung Ägyptens sowohl von der britischen als auch von der osmanischen Herrschaft aufriefen. Dies geschah Anfang der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Damals sorgte diese Aktion nicht für Empörung, sondern für große Anerkennung der mutigen Frauen, denn die Gesichtsbedeckung galt vielen Ägyptern damals als Symbol der türkischen Herrschaft. Die ägyptische Frauenrechtlerin Huda Scha’arawi, die Klara Zetkin als ihr Vorbild sah, hatte diese Aktion damals initiiert, nicht um zu provozieren, sondern um andere Frauen zu ermutigen, sich von niemandem bevormunden zu lassen. Sie wurde für ihre Aktion nicht als Häretikerin oder Provokateurin betrachtet, sondern als Menschenrechtsaktivistin, nach der man eine Straße in Kairo benannte. Heute, über 90 Jahre später, ist eine derartige Aktion auf dem Tahrir-Platz beinahe unvorstellbar.
Aber immerhin umarmte der Tahrir-Platz 18 Tage lang viele verschleierte und unverschleierte Frauen, die neben den Männern für Freiheit kämpften. Beide Geschlechter diskutierten, demonstrierten Seite an Seite und bluteten für ein gemeinsames Ziel. Sie aßen, diskutierten und übernachteten auf engstem Raum zusammen.
Im März 2011 traf ich am Rande eines Medienkongresses in Berlin die tunesische Bloggerin Lina Mhenni, die eine zentrale Rolle während der Jasmin-Revolution in Tunesien spielte, auch wenn sie das selbst immer bestreitet. Die zierliche junge Frau hatte einen Blog mit dem harmlosen Namen »A tunesian girl«, der aber eines von vielen effektiven Mitteln gegen die Zensur war, die das Regime Ben Alis über die Medien verhängt hatte. Obwohl ihr Freund, selbst Blogger, von der Polizei entführt und gefoltert wurde, schrieb sie weiter. Sie initiierte eine Internetkampagne für die Freilassung ihres Freundes und gegen Folter und Zensur. Auch in der Aufklärung des Selbstmords des Gemüsehändlers Bouazizi spielte Lina Mhenni eine wichtige Rolle. Als sie von diesem Fall hörte, fuhr sie sofort in die Stadt Bouazizis und sprach mit den Menschen. Ihre Kommentare und Videos über die Zustände in der Provinz trugen die Flamme in die Hauptstadt. Nach vier Wochen ununterbrochenen Protestierens mussten Ben Ali und seine Frau das Land am 14. Januar 2011 verlassen. Sie suchten und fanden Asyl bei einem anderen Diktator, dem von Saudi-Arabien. Die Ironie dieser Geschichte ist, dass Ben Alis Frau Leila Trabelsi, die das Kopftuch im laizistischen Tunesien vehement bekämpft hatte, nun in Saudi-Arabien lebt, wo sie ohne Schleier das Haus nicht verlassen darf.
Für Lina Mhenni war die Revolution
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