Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
schlagzeilenträchtigen, für die Zukunft der arabischen Welt und auch des Westens aber umso bedeutsameren Prozess der Demokratisierung in Ägypten und Tunesien interessierte sich kaum mehr jemand. Die quoten- und bildorientierten Medien mussten über Brennpunkte berichten, von denen sie dramatische Szenen zeigen konnten. Und so überforderte man die Zuschauer im Westen mit vielen Bildern, die diese nicht einordnen konnten. Bald war von einer Demokratiebewegung nicht mehr die Rede, und Begriffe wie Konflikt, Krisenherd und Pulverfass wurden sehr viel häufiger verwendet als Zivilgesellschaft, Wahlen oder Verfassung.
In Libyen verfolgte Al-Dschasira ein identisches Konzept wie in Ägypten. Beim letzten Treffen der Arabischen Liga übernahm der libysche Diktator als Gastgeber den Sitz des Präsidenten als Nachfolger des Emirs von Katar. Er begann seine Ansprache damit, sich über das Übergewicht des Emirs lustig zu machen. »Das Vakuum, das mein Bruder Hamad hinterließ, kann ich gar nicht füllen. Hamad kann am besten ein Vakuum füllen, sonst nichts.« Der Eklat hatte Konsequenzen. Als die Aufständischen im Osten des Landes ein Jahr später gegen Gaddafi auf die Straße gingen, war Al-Dschasira vom ersten Tag an auf ihrer Seite.
Doch als die Revolte Bahrain erreichte, also Katars Nachbar am Arabischen Golf, wurde die Doppelmoral von Al-Dschasira deutlich. Die Revolte in Bahrain wurde nicht als Revolution, sondern als Unruhen bezeichnet, die einen religiösen Hintergrund hätten, da die Mehrheit der Bahrainis Schiiten seien, während das Königshaus sunnitisch ist. Bilder von Folter und der Erschießung von Demonstranten wurden zunächst verschwiegen. Eine Verbindung der Rebellen in Bahrain mit dem schiitischen Regime im Iran wurde häufig suggeriert, um die Unterstützung für die Rebellen aus dem Westen im Zaum zu halten. Daraufhin reichten zwei der Urgesteine von Al-Dschasira, der Syrer Faisal al-Qasim und der Tunesier Ghassan Ben Giddo, ihre Kündigung ein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis viele arabische Journalisten und Moderatoren, die für Al-Dschasira und Al-Arabiya arbeiten, nur weil sie in den eigenen Ländern nicht frei berichten dürfen, das Handtuch werfen und in ihre Länder zurückkehren, um dort eigene Sender zu errichten, die von den Petrodollars unabhängig sind. Die Glaubwürdigkeit von Al-Dschasira litt am stärksten, als der Sender Archivbilder, auf denen Soldaten von Saddam Hussein irakische Gefangene folterten, als aktuelle Bilder aus dem Jemen sendete. Ein weiterer Schlag für die Glaubwürdigkeit des katarischen Senders waren Videoaufnahmen, auf denen ein Al-Dschasira-Moderator dem renommierten israelisch-arabischen Kommentator Azmi Bishara vor einer Sendung Anweisungen gab, sich einzig auf Syrien zu konzentrieren und Bahrain, Jordanien und Saudi-Arabien zu ignorieren.
Al-Dschasira und Al-Arabiya haben sicher einen frischen Wind in die arabische Medienlandschaft gebracht, doch beide Sender bleiben gefangen in den Zwängen von Medien, Geld und Politik. Bei beiden Sendern handelt es sich lediglich um eine gutgemachte, sippenhafte Mediendiktatur. Ein Mitarbeiter von Al-Arabiya wollte einmal die Professionalität und Neutralität seines Senders auf die Probe stellen: Der Ägypter Hafiz Al-Mirasi, der früher Chef des Al-Dschasira Büros in Washington war und nun das Büro von Al-Arabiya in Kairo leitete, kündigte nach dem Erfolg der ägyptischen Revolution an, dass er in seiner kommenden Talksendung über die Auswirkungen der tunesischen und ägyptischen Revolutionen auf Saudi-Arabien reden werde. Er verabschiedete sich von seinen Zuschauern mit den Worten »Falls Sie mich in der nächsten Sendung sehen sollten, dann ist Al-Arabiya ein neutraler und unabhängiger Sender. Falls nicht, dann möchte ich mich von Ihnen heute schon verabschieden.« Hafiz Al-Mirasi tauchte nie wieder in einer Sendung von Al-Arabiya auf.
Der 11. September 2001 verhalf Al-Dschasira zu Ruhm, der Irak-Krieg etablierte Al-Arabiya als Konkurrenten. Doch die arabische Revolution könnte der Anfang vom Ende der beiden Sender sein. Früher war der arabische Zuschauer auf Al-Dschasira und Al-Arabiya angewiesen, um der Propagandamaschine der eigenen Staatssender zu entfliehen und sich zu informieren. Heute wächst die Skepsis gegenüber beiden Sendern, weil sie am Ende doch noch in Geist und Logik der Diktatur gefangen sind.
Sollten die Befreiungsbewegungen in Tunesien und Ägypten in eine wirkliche Demokratie münden,
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