Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
an der Scharia liegen, sondern an den Menschen, die sie falsch auslegen. Scharia bedeutet für mich ein Weg in die Gerechtigkeit, allgemeine Prinzipien, die überall gelten wie Gerechtigkeit, Schutz der Schwachen und Solidarität. Der Kern der Scharia, wie es der Prophet formulierte, lautet: Man sollte weder sich selbst noch anderen Schaden zufügen. Alles andere ist erlaubt.
HAS
: Aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass der Teufel in den Details steckt, und gerade die Definition von »Schaden« oder »Gerechtigkeit« öffnet die Tür für weitere Koranpassagen und Aussagen des Propheten, die die Freiheit des Individuums einschränken. Warum sollte man sich das Leben schwermachen? Muss man das Rad neu erfinden? Wir haben schon die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen, die Ägypten übrigens unterzeichnet hat.
AE : Weil jede Demokratie Quellen aus dem eigenen Kulturrepertoire für ihre Gesetzgebung braucht, und das ist bei uns unter anderem der Islam.
HAS
: Würden Sie, sollten Sie Präsident Ägyptens werden, den Konsum von Alkohol in Hotels verbieten?
AE : Natürlich nicht. Es steht mir nicht zu, mich in die privaten Angelegenheiten der Nichtmuslime einzumischen.
HAS
: Und wenn es sich um Muslime handelt?
AE : Die Mehrheit der Muslime ist gegen den öffentlichen Konsum von Alkohol, und ich kann keine Gesetze erlassen, die gegen den Willen der Mehrheit sind.
HAS
: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Hürden, die Ägypten überwinden muss, um eine wirkliche Demokratie zu werden?
AE : Die Wirtschaftskrise und die sektiererische Gewalt zwischen Muslimen und Kopten. Die Wirtschaft war unter Mubarak planlos und hat zusätzlich unter der Revolution und dem daraus resultierenden Ausbleiben der Touristen gelitten. Ägypten braucht schnelle Beschäftigungsprogramme für junge Menschen und eine starke wirtschaftliche Infrastruktur. Wir brauchen neue Fabriken, nicht neue Moscheen. Wir müssen auch aufpassen, dass die Differenzen zwischen Muslimen und Kopten nicht regelmäßig zu Gewalt führen. Mubarak verkaufte sich dem Westen gegenüber nicht nur als Retter vor den Muslimbrüdern, sondern auch als ein Beschützer der Kopten. Doch die Wahrheit ist, dass er die Spannung zwischen Angehörigen der beiden Religionen mehrmals instrumentalisiert hat, um von inneren Problemen abzulenken. Die Herausforderung für uns Muslime ist, den Kopten nicht nur Schutz, sondern auch volle Gleichberechtigung zu garantieren, weil sie kein Teil des Westens sind und von ihm nicht beschützt werden; sie sind ein Teil Ägyptens, Ägypten sollte sie beschützen und von ihnen beschützt werden.
HAS
: Sie wollen doch nicht sagen, dass die Gewalt gegen die Kopten nur eine Manipulation von Mubarak war. Das Problem hatten wir auch vor Mubarak.
AE : Natürlich haben Sie recht. Das Problem ist viel älter. Und jemand, der Gewalt sät, braucht einen fruchtbaren Boden, auf dem Gewalt blühen kann. Und diesen Boden haben wir leider nun seit einiger Zeit. Wir müssen dieses Phänomen durch Bildung und durch echte Demokratie bekämpfen. Wenn ein Muslim das Gefühl hat, dass er ungerecht behandelt wird, sucht er sich einen Sündenbock und wendet sich in unserem Falle gegen die schwächeren Kopten und manchmal auch umgekehrt.
HAS
: Gut, dass Sie das Thema Sündenbock ansprechen. Wie würden Sie als Präsident mit Israel umgehen? Werden Sie das Friedensabkommen annullieren?
AE : Wieso sollte ich das tun? Israel hat doch mit Ägypten kein Problem und befindet sich in keinem Konflikt mit uns. Israel hat mit den Palästinensern ein Problem und sollte seine Bemühungen darauf konzentrieren, diesen Konflikt fair zu lösen, statt sich um die Revolution in Ägypten Sorgen zu machen.
HAS
: Und wie würde die Beziehung zwischen Ägypten und dem Westen unter Ihrer Präsidentschaft aussehen?
AE : Ein demokratisches Ägypten wird ein viel besseres Verhältnis zum Westen haben, vorausgesetzt, dieses Verhältnis wird auf Gleichberechtigung und gegenseitigem Respekt basieren und nicht wie bislang auf Bevormundung und Misstrauen. Der Westen braucht etwas Zeit, um zu begreifen, dass er sich von den alten Mythen und Lügen über die arabische Welt lösen muss. Außerdem brauchen wir eine neue Art von Geschäftsmoral in der Region. Doppelstandards und Allianzen mit Diktaturen müssen endlich ein Ende haben.
Vergleicht man die Aussagen von Abou el-Fotouh mit denen des Juristen Sobhi Saleh, einem weiteren Führungsmitglied der Muslimbruderschaft,
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