Krieg um den Mond (German Edition)
bekommen hatte. Es war, als ob die Schraube greifbar nahe vor ihm auf dem Tisch läge. Jeder konnte sich ein eigenes Bild davon machen, dass es ein fremdartiges Teil war. Und die Menschen machten sich dieses Bild. Es waren Millionen rund um den Erdball, die zeitgleich mit Gordon diese Aufnahmen sahen. Es gab keinen bedeutenden Kanal, der diese Ausstrahlung versäumen wollte. Die Welt hielt den Atem an.
Das Bild einer attraktiven, blonden Frau wurde eingeblendet. Anne Winkler, Wissenschaftlerin der ESA, hatte die geheimen Bilder aufgedeckt, die jetzt auf allen Kanälen um die Welt gingen. Später sollte es ein ausführliches Interview geben. Vorher wurden weitere Aufnahmen angekündigt.
Was kommt denn noch?
Gordon hatte nicht die geringste Idee.
„Der folgende Text ist Original-Wortlaut der ESA.“ Die Sprecherin hörte sich an, als wollte sie sich entschuldigen. Man spürte deutlich, dass es ihr peinlich war. „Wir sind zu der Ausstrahlung dieses Textes verpflichtet worden, um Ihnen die folgenden Bilder zeigen zu dürfen.“
„Unerhört!“, zischte Gordon und rutschte auf die vorderste Kante des Sessels.
„Die NASA hat die Entdeckung der Schraube verschwiegen, um sie in einer geheimen Mission zu bergen und die Ergebnisse eigennützig auszuwerten“, las die Sprecherin von einem Blatt ab. „Dieses Vorhaben ist auf den Widerstand Chinas gestoßen und gewaltsam verhindert worden. Das Geschehen ist Hintergrund und Ursache der Konflikte, die unsere Welt an den Rand einer Katastrophe geführt haben. Wir hoffen, dass durch diese Aufklärung ein besseres Verständnis des Konflikts entsteht und hoffentlich eine friedliche Lösung gefunden werden kann.“
Die Sprecherin sah von ihrem Blatt auf und wiederholte eindringlich, dass es eine verpflichtende Erklärung der ESA war und keinesfalls Meinung des Senders.
Gordon kochte - und mit ihm der Präsident und die gesamte amerikanische Regierung. Das war eine Frechheit! Das war ganz und gar nicht diplomatische Gepflogenheit. Es würde Konsequenzen auf höchster Ebene haben. Was bildeten sich die Europäer ein, so etwas Unverschämtes zu behaupten und weltweit zu verbreiten.
Die Sprecherin verschwand vom Bildschirm. An ihrer Stelle erschien eine lange, schmale Rakete, die langsam um ihre Längsachse rotierte. Jetzt kam die allen bekannte chinesische Flagge ins Bild. Es gab keinerlei Zweifel.
„Chinesische Abfangrakete“, bestätigte der eingeblendete Text.
Fasziniert verfolgte Gordon eine weitere Drehung. Etwas Neues wanderte oben rechts ins Bild. Der Ausschnitt wurde herangezoomt und ließ das Sternenbanner und den typischen Schriftzug „United States“ erkennen. Diese Rakete war deutlich größer.
„Amerikanische Mondmission“, kam als Erklärung.
„Das gibt es nicht! Das kann nicht sein! Das ist unmöglich.“ Gordon kroch fast in den Fernseher. Tatsächlich. Es war „seine“ Rakete. Seine Mission. Er kannte jedes Detail. Eine Fälschung war nicht möglich.
Wie haben die Europäer das gemacht?
Es war ihm ein Rätsel.
Das Bild zoomte zurück und zeigte wieder beide Raketen. Bei der chinesischen zündeten zweimal in kurzen Abständen die Steuerdüsen. Dann wurde das Bild grellweiß, als sie beschleunigte. Das Grelle verschwand und man erkannte für Sekunden beide Raketen, wie sie sich näherten. Als sie sich berührten, blitzte es auf. Dann wurde es schwarz und man sah schemenhaft verbogene Teile aus dem Aufnahmebereich verschwinden.
Gordon stöhnte auf und sackte in den Sessel zurück. Es war, als hätte ihn die chinesische Rakete persönlich getroffen. Die Welt atmete wieder aus und musste erst einmal verdauen, was sie gesehen hatte.
Es herrschte Stille. Minutenlang. Stille vor dem Sturm. Dann brach er los, der Sturm der Entrüstung. Amerikaner entrüsteten sich über Chinesen, die ihre Mission so brutal vernichtet hatten, und über die Europäer, die nicht zu den Amerikanern hielten. Die Welt entrüstete sich über die eigennützigen Amerikaner. Nur die Chinesen entrüsteten sich nicht. Sie bekamen die Bilder nicht zu sehen, weil die Regierung sich weigerte, den Text zu senden. Nur ausgewählte Personen aus der höchsten Regierungsebene erhielten Zugang. Zunächst - denn über das Internet sickerten die Aufnahmen auch zu den anderen durch.
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45. Darmstadt, Deutschland
Aufmerksam verfolgte Anne jeden Handgriff von Sina, der Visagistin. Anne mochte es nicht, zu intensiv geschminkt zu sein. Sina hatte eine Menge Geduld
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